Boost für Gerresheimer
Im Blickfeld
Boost für Gerresheimer
Was ein deutscher MDax-Konzern mit Hollywoods Diätspritzen-Boom zu tun hat
Von Antje Kullrich, Düsseldorf
Ein Hormon mit der unspektakulären wie unscheinbaren Bezeichnung GLP-1 hat spätestens seit der diesjährigen Oscar-Verleihung Promistatus bekommen. Da machte Moderator Jimmy Kimmel einen Witz über die Abnehmspritze Ozempic und die vielen Stars, deren Pfunde mit ihrer Hilfe nur so purzeln. Auch Elon Musk hat sich schon als Fan geoutet, als er nach seiner plötzlich schlankeren Erscheinung gefragt wurde.
Der Hype in Hollywood kommt nicht von ungefähr. Die Pharmaindustrie sieht in GLP-1-basierten Medikamenten die ganz großen Blockbuster der kommenden Jahre. Ursprünglich als Diabetes-Mittel entwickelt, zeigte sich, dass das Peptidhormon auch zur Gewichtreduktion eingesetzt werden kann. In den USA und in der EU sind die ersten Präparate mittlerweile gegen Fettleibigkeit zugelassen.
Analysten rechnen mit einem Multimilliardenmarkt. Denn die Zivilisationskrankheit Adipositas breitet sich weltweit immer mehr aus. Drei von vier Menschen in den USA gelten als übergewichtig, etwa ein Drittel der Bevölkerung dort als fettleibig. Die GLP-1-Mittel versprechen eine Gewichtsreduktion von bis zu 20% – ohne eine beschwerliche Änderung des Lebensstils und ohne große Nebenwirkungen, soweit bislang bekannt.
Zahlreiche Pharmakonzerne sind dabei, Mittel auf Basis des Hormons zu entwickeln. Die Nase vorn hat der dänische Weltmarktführer für Diabetes-Medikamente, Novo Nordisk, der Ozempic und das höher dosierte Wegovy bereits auf dem Markt hat. Auch Eli Lilly liegt gut im Rennen. Das Medikament Mounjaro des US-Konzerns ist seit dem vergangenen Jahr auf dem größten Pharmamarkt der Welt erhältlich.
An dem sich abzeichnenden Riesengeschäft ist auch ein deutscher MDax-Konzern beteiligt: Der Pharmazulieferer Gerresheimer hat sich als Hersteller von Spritzen und Pens zur Verabreichung der Abnehmmittel eine vielversprechende Position erarbeitet: „Wir sind Schlüssellieferant für alle wesentlichen Marktteilnehmer“, zeigt sich Gerresheimer-Chef Dietmar Siemssen selbstbewusst. Auch wenn er Namen nicht nennen will, ist in der Branche längst bekannt, dass sein Unternehmen mit Novo Nordisk und Eli Lilly langfristige Verträge geschlossen hat. Und Siemssen betont im Gespräch mit der Börsen-Zeitung: „Wir sind gerade dabei, weitere Abschlüsse zu tätigen.“ Der Gerresheimer-Chef geht davon aus, dass GLP-1 künftig einen signifikanten Anteil zum Konzernumsatz beitragen wird: „Für uns ergibt sich ein Potenzial von mehreren hundert Millionen Euro Umsatz im Jahr.“
Die Zeichen stehen deshalb auf Expansion. Gerresheimer ist dabei, die Produktionskapazitäten weltweit deutlich zu erweitern. Die Basis sei schon vor einigen Jahren gesetzt worden, erläutert Siemssen. Der Konzern setzt große Erwartungen in Behältnisse und Spritzen für Biopharmazeutika, die angesichts der enthaltenen großen Moleküle häufig spezielle Qualitätsansprüche erfüllen müssen. Eine Eigenentwicklung von Gerresheimer ist zum Beispiel eine Zwei-Kammer-Spritze, die erst im Moment der Verabreichung zwei Flüssigkeiten miteinander mischt. GLP-1-basierte Medikamente sind in dieser Strategie einer der erwarteten Blockbuster, aber nicht der ausschließliche.
Dicke Kapitalerhöhung
Für den Ausbau der Kapazitäten hat sich die aus früheren Private-Equity-Zeiten noch ordentlich verschuldete Gerresheimer jüngst frisches Eigenkapital besorgt. Gut eine Viertelmilliarde sammelte der Konzern im April über Nacht in einem beschleunigten Verfahren ein. Die Investoren, die vor fünf Wochen zugegriffen haben, können sich bereits über ein Kursplus von gut 15% freuen. Der Aktienkurs hat mittlerweile ein Allzeithoch erreicht und die Marke von 100 Euro überschritten. Gerresheimer kommt damit auf einen Marktwert von 3,5 Mrd. Euro.
Analysten haben in den vergangenen Wochen die Erwartungen für Gerresheimer reihenweise nach oben geschraubt. Sehr optimistisch zeigt sich zum Beispiel J.P. Morgan. Analyst David Adlington hat das Kursziel auf 144 Euro mehr als verdoppelt. Dieser außergewöhnliche Sprung reflektiert die Erwartung in der gesamten Branche, dass sich das Geschäft mit den Peptidhormonen gegen die Fettleibigkeit atemberaubend entwickeln wird. Beobachter gehen von einem Marktpotenzial GLP-1-basierter Präparate von 50 Mrd. Dollar und mehr bis 2030 aus. „Die Lifestyle-Thematik ist in den Zahlen noch nicht drin“, sagt Konzernchef Siemssen. Denn schon meldet Novo Nordisk Lieferprobleme, da auch Normalgewichtige im Schlankheitswahn versuchen, an die teuren Spritzen zu kommen. Die Behandlung verschlingt gerne 1.000 Dollar im Monat.
Die Gerresheimer-Spitze hatte bereits im Dezember vergangenen Jahres auf ihrem Kapitalmarkttag einige Einblicke in ihre Erwartungen an das GLP-1-Geschäft gewährt. Nur ein halbes Jahr später zeigt sich Siemssen noch etwas optimistischer. „Wir wollen in den nächsten Jahren die Marke von 3 Mrd. Euro Umsatz überspringen.“ Dass ihm viel Konkurrenz bei dem Geschäft gegen die Fettleibigkeit in die Quere kommt, glaubt Siemssen nicht. Als Partner für die großen Pharmakonzerne böten sich nur wenige an. Sie müssten das Know-how, die globale Präsenz und die Kapazitäten mitbringen: „Es gibt nur eine Handvoll Spieler, die das weltweit können.“