Bankenaufsicht

Brüsseler Leerstelle

Mit den Vorschlägen zur Umsetzung von Basel III ist der EU-Kommission die Quadratur des Kreises fast gelungen. Eine Leerstelle ist geblieben.

Brüsseler Leerstelle

Brüssel hat sich an einer Quadratur des Kreises versucht, und beinahe scheint es, als sei ihr diese gelungen: Werden die von der EU-Kommission in der vergangenen Woche präsentierten Vorschläge zur Umsetzung des Kapitalregelpakets Basel III Realität, wird die Regulierung die Wirkung bankinterner Modelle, die im Zuge der Finanzkrise nagende Zweifel an der Konsistenz von Eigenkapitalquoten genährt hatten, empfindlich beschneiden. Zu­gleich hat es die Truppe um Martin Merlin, Direktor in der Generaldirektion Finanzstabilität, Finanzdienstleistungen und Kapitalmarktunion (FISMA), geschafft, den da­mit verbundenen Anstieg der Mindestkapitalanforderungen auf 6% bis 8% zu begrenzen, womit sie die vom Aufsichtsgremium des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht gesetzte Obergrenze von 10% einhält. Dass diese Werte je nach Bank sehr breit streuen, gerade in der Bundesrepublik, in der Groß- und Landesbanken interne Mo­del­le rege nutzen, darf kaum verwundern. Dies ist nicht das Problem, sondern das Wesen einer Reform, die auf Harmonisierung abzielt.

Der Preis dieses Brüsseler Kunststücks ist, dass die EU an vielen weniger beachteten Stellen im Regelwerk Leine gegeben hat: bei der Kapitalunterlegung operativer Risiken, bei der Anpassung von Kreditbewertungen sowie unter anderem bei den Bestimmungen für risikoarme Hypothekenkredite. Nicht zuletzt will die Kommission den Banken abermals mehr Zeit geben, sich den neuen Regeln anzupassen. War die schrittweise Einführung zunächst für die Jahre von 2022 bis 2027 geplant, reicht sie nun von 2025 bis 2032.

Im selben Maße aber, wie nur mit Lineal und Zirkel ausgestattete Mathematiker an der Rektifikation des Kreises scheitern, hat es auch die EU-Kommission in einem Punkt nicht geschafft zu liefern. Das Problem der regulatorischen Behandlung von Forderungen an bonitätsstarke Mittelständler ohne externes Rating, für welche das globale Regelwerk deutlich höhere Risikogewichte vorsieht als bisher, hat sie nicht gelöst, sondern bloß auf die lange Bank geschoben. Wie Mitte vergangener Woche bekannt wurde, soll bis 2032 eine Karenzzeit mit niedrigeren Anforderungen gelten, bevor die Verschärfung greift. Offenbar eine Konzession an die mittelstandsgeprägte Bundesrepublik.

Nun tickt die Uhr, um eine gescheite Lösung zu finden. Es ist ja nicht so, als hätte die Kommission nicht bereits ausgiebig Ideen gewälzt, wie eine Verteuerung solcher Kredite im künftigen Baseler Regime zu vermeiden wäre. Nur: Je nachdem, wer für die externen Ratings sorgen soll, wird bei jeder Variante ein Pferdefuß ausgemacht. Die öffentliche Hand? Scheut den Aufbau einer Ratingagentur, nachdem es im Anschluss an die Finanzkrise schon der Privatwirtschaft nicht gelang, eine europäische Alternative zu den drei Oligopolisten S&P, Moody’s und Fitch aufzubauen. Die Notenbanken? Die Bundesbank ziert sich, mit Ratings einzuspringen, die sie ohnehin erstellt, wenn Banken Forderungen an Unternehmen als Sicherheit für Refinanzierungen einreichen – weil diese Einstufungen nur einen Zwölfmonatshorizont haben, weil die Bundesbank in ihrer Rolle als Bankenaufsicht Interessenkonflikte vermeiden will, vor allem aber wohl auch, weil sie nicht erleben will, wie ein von ihr als robust eingestuftes Unternehmen un­versehens implodiert. Griffe die Regulierung wiederum auf die internen Modelle von Banken zurück, machte sie sich von ebenjenen Instrumenten abhängig, deren Relevanz sie reduzieren will.

Soll der Abschluss von Basel III nicht in ein ABM-Programm für die Riesen der Ratingbranche ausarten, welche die Regulierung nach der Finanzkrise ja eigentlich hatte an die Kandare nehmen wollen, muss also eine Lösung her, bis die European Banking Authority die Übergangsregel 2028 überprüft. Mit dem sogenannten KMU-Entlastungsfaktor, der Erleichterungen für die Kapitalunterlegung von Forderungen an kleine und mittlere Unternehmen vorsieht, ist die Kommission schon einmal vom globalen Regelwerk des Baseler Ausschusses abgewichen. Mit Blick auf die Finanzierung bonitätsstarker Unternehmen ohne externes Rating, ohne Zugang und auch nur Drang zum Kapitalmarkt dürfte sich im Zweifel abermals eine Ausnahme lohnen, um den in der Debatte um Basel III viel beschworenen Spezifika des europäischen Marktes Rechnung zu tragen. So elementar ein global einheitliches Regelwerk auch ist: Manchmal gelingt die Quadratur des Kreises schon, indem wesentlich Gleiches gleich und wesentlich Ungleiches ungleich behandelt wird.

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