Bündnis mit der Politik
Siemens und Alstom müssen ihre Bahntechnik künftig getrennt steuern. Darauf deuten bisher sämtliche Signale der Wettbewerbshüter in Brüssel sowie in den europäischen Hauptstädten hin. Die EU-Kartellbehörde genehmigt die Fusion in der geplanten Variante voraussichtlich nicht. Damit wird es keinen europäischen Champion der Zugindustrie geben. Zwar gehen die Politiker beider Länder gegen das Votum der EU-Kommission mit außergewöhnlicher Entschiedenheit auf die Barrikaden. Am Montag hat beispielsweise Frankreichs Finanzminister die EU-Wettbewerbskommissarin von Angesicht zu Angesicht bearbeitet, und Deutschlands Wirtschaftsminister traf sich mit Siemens-Chef Joe Kaeser.Doch das letzte Wort haben die Wettbewerbshüter. Sie können beispielsweise auf die Kunden der Zughersteller verweisen. Sie laufen Sturm gegen das Projekt, zumal Deutsche Bahn und SNCF im Strudel einer Fusion befürchten müssen, ihre Eigenständigkeit zu verlieren und selbst in eine Zusammenlegung getrieben zu werden. Für Siemens wäre es ein herber Schlag, wenn sich der Konzern alleine im Wettbewerb mit dem Bahntechnik-Weltmarktführer CRRC aus China behaupten müsste. Schließlich suchen die Münchner seit vielen Jahren, mit steigender Intensität jedoch seit dem Amtsantritt von Kaeser im Jahr 2013, nach einer strategischen Lösung für die Sparte Mobility. Das Zusammenschrauben von Fahrgestellen und Sitzen gehört nicht mehr zum digitalen Geschäftsmodell der Münchner, wenngleich Signaltechnik und Zugsteuerung zunehmend komplexer werden. Vor allem aber könnten die Margen mit dem Angriff der Chinesen nachhaltig in die Knie gehen, wenn die Siemens-Bahntechnik weiterhin allein unterwegs ist.Die scheinbare Konsequenz im Falle eines Verbots der Wettbewerbshüter lautet: Fast zwei Jahre Fusionsverhandlungen und -vorbereitung wären für die Katz. Diese Sichtweise ist naheliegend, aber eindimensional. Natürlich ist die Zusammenlegung die Krönungsstrategie für beide Konzerne. Eine Untersagung der Fusion trifft das Duo jedoch unterschiedlich. Der Bahntechnik-Spezialist Alstom hat erst einmal alles verloren, weil nun die Perspektive in der wettbewerbsintensiven Branche fehlt. Für Siemens gilt dies zwar in der Bahntechnik ebenso, aber das Konglomerat hat trotzdem einen Schritt nach vorn gemacht. Denn die Sparte ist ausgegliedert, und dies verschafft Siemens strategische Optionen inklusive eines Börsengangs. Ohne das Alstom-Fusionsprojekt wäre eine Alleinstellung von Mobility auf mehr Widerstand der Arbeitnehmervertreter gestoßen.Wichtiger aber ist langfristig aus Siemens-Sicht ein anderer Aspekt, der in den gesellschaftlich-politischen Raum hineingreift. Warum eigentlich hat der Konzern sich im Sommer 2017 nicht für eine Fusion mit dem kanadischen Bahntechnik-Konzern Bombardier entschieden? Die Antwort ist vielschichtig, ein zentraler Punkt aber ist: Im Fall einer transatlantischen Fusion hätte es keinen Schulterschluss der europäischen Politik mit Siemens gegeben und damit auch keinen gemeinsamen Kampf für eine Veränderung des Kartellrechts. Nun aber unterstützen Berlin und Paris die Schaffung europäischer Champions nicht nur mit Worten, sondern auch mit Taten. Ein Hebel wäre beispielsweise die Möglichkeit, künftig auch auf EU-Ebene noch jene Fusionen auf politischer Ebene freizugeben, die die Behörden zuvor schon untersagt haben. Das Argument, dass dies den Wettbewerb beeinträchtigt und damit den Standort langfristig schwächt, rückt in den Hintergrund.Dieser Sinneswandel hat für Siemens selbst im Fall eines Scheiterns der Alstom-Fusion einen hohen Wert, sofern er anhält. Denn Kaeser wird den Konzernsparten von April an mehr Autonomie verschaffen. Neben der Bahntechnik sind auch die Windkraft und die Medizintechnik eigenständig unterwegs. Aber auch Digitale Industrie, Infrastruktur und Energie werden selbständiger. Nur: Was tun mit der Freiheit? Dass es gar nicht leicht ist, die Märkte kreativ umzuwälzen und der angeblichen Mittelmäßigkeit zu entwachsen, führt die Medizintechnik seit ihrer Börsennotierung vor. Operativ sind Fortschritte halt immer langwierig.Fusionen werden daher in Zukunft quer durch Siemens und insbesondere für das Kerngeschäft Digitale Industrie ein wichtiger Hebel sein, um die Zahl der Nr.-1-Positionen auf dem Weltmarkt auszubauen und neben der gewünschten Preissetzungsmacht auch die nötige Kapitalkraft für das F&E-Budget zu gewinnen. Derartige Mega-Zusammenschlüsse aber sind nur mit einem geänderten europäischen Kartellrecht möglich.—–Von Michael FlämigDie Politik solidarisiert sich mit Siemens und Alstom gegen ein Verbot der Bahntechnikfusion. Ihr eigentliches Ziel ist eine Änderung des EU-Kartellrechts.—–