Willkommen im aktienrechtlichen Tohuwabohu
Bärendienst für
die Aktienkultur
Claus Döring
Willkommen im aktienrechtlichen Tohuwabohu! So wird man den Bericht zum Inkrafttreten des Zukunftsfinanzierungsgesetzes betiteln müssen, wenn es beim jetzt veröffentlichten Referentenentwurf bleibt (vgl. BZ vom 5. April). So sehr zu begrüßen ist, dass die Bundesregierung die Attraktivität des Kapitalmarkts steigern und die Rahmenbedingungen zur Finanzierung von Start-ups verbessern möchte, so bedenklich sind manche Vorschläge zur Änderung des Aktienrechts. Insbesondere die geplante Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien, die in Deutschland seit 1998 aus guten Gründen verboten sind, wäre ein schwerer Rückschritt in der Aktienkultur und der Corporate Governance in Deutschland. Doch die federführenden Ministerien für Justiz und für Finanzen ficht das nicht an. Wie bei anderen Themen auch läuft die Ampel-Koalition dem Zeitgeist hinterher und setzt sich über die Bedenken der Fachleute hinweg. Oberflächlich betrachtet handelt es sich um eine Anpassung an Regelungen in anderen Ländern, sie kann den Bürgern sogar als Schritt zur europäischen Kapitalmarktunion verkauft werden. Denn die EU-Kommission plant mit dem “Listing Act” ebenfalls die Einführung von Mehrstimmrechtsaktien. Während aber die EU Mehrstimmrechte nur für Wachstumsunternehmen und KMU will, deren Aktien an einem Wachstumsmarkt gehandelt werden, sieht der deutsche Gesetzesentwurf eine solche Beschränkung nicht vor.
Argumente gegen Mehrstimmrechtsaktien habe ich in dieser Kolumne bereits vorgestellt (BZ vom 10. März). Das Mephistophelische am jetzigen Gesetzesentwurf ist, dass er in den Erläuterungen die schwerwiegenden Einwände sogar anerkennt, aber mit dem Hinweis auf „gesetzliche Schutzvorkehrungen“ zum Anleger- und Minderheitenschutz sogleich beiseite wischt. Es wird konzediert, dass das überproportionale Stimmrecht die Rechte der Aktionäre ohne Mehrstimmrechte und damit die Eigentümerkontrolle schwächt. Die Inhaber von Mehrstimmrechten hätten einen Einfluss, der nicht ihrer Kapital- und Risikobeteiligung entspreche: „Sie tragen damit ein geringeres Risiko beim Scheitern des Unternehmens, zudem sind Missbräuche und Interessenkonflikte denkbar.“
Zu den geplanten „Schutzvorkehrungen“ gehört die faktische Beschränkung auf Aktiengesellschaften vor dem Börsengang. Da nämlich der satzungsmäßigen Einführung von Mehrstimmrechtsaktien alle Aktionäre zustimmen müssen, dürfte eine solche Maßnahme nach einem IPO praktisch nicht mehr möglich sein, da sich dann wohl immer wenigstens ein Aktionär finden würde, der dagegen stimmt – und sei es nur, um seinen Lästigkeitswert zu ermitteln. Inhaltlich wird dies damit begründet, dass man Mehrstimmrechte ja für „Gründer und Ideengeber“ schaffen wolle, um ihnen „Einfluss und Kontrolle über die strategische Ausrichtung“ auch nach einem Börsengang zu sichern. Dadurch, so die Hoffnung des Gesetzgebers, steige deren Bereitschaft, Eigenkapital über den Kapitalmarkt zu akquirieren.
Die an Namensaktien gebundenen Mehrstimmrechte erlöschen zwar im Fall der Übertragung und können damit auch nicht vererbt werden, können aber gleichwohl ein langes Leben entwickeln. Denn der so genannte „Sunset Clause“, also das automatische Erlöschen, tritt erst zehn Jahre nach dem IPO ein, und dann auch nicht zwingend. Denn der Gesetzesentwurf sieht eine einmalige Verlängerungsmöglichkeit um weitere zehn Jahre vor, mit einer Dreiviertelmehrheit des bei der Beschlussfassung anwesenden Kapitals. Die Aussicht auf eine 20-jährige Lebensdauer von Mehrstimmrechten mag Ego und Kontrollbedürfnis von Unternehmensgründern befriedigen, für die Akquise potenzieller Investoren sind solche Auflagen Gift.
Völlig daneben ist die zulässige Höchstzahl an Stimmen bis zum zehnfachen Stimmrecht. Der Gesetzesentwurf behauptet allen Ernstes, dass somit der Mehrstimmrechtsaktionär für die Kontrolle „zumindest einen relevanten Anteil am Grundkapital“ halten müsse. Doch ein Kapitalanteil von nur 5 % sichert bereits die Stimmenmehrheit von 50 % und die übliche Hauptversammlungsmehrheit von 30 % ist bereits mit 3 % des Kapitals möglich. Gute Nacht, Minderheitenschutz! Mag sein, dass dies die Jünger eines Elon Musk nicht stört. Aber für institutionelle Investoren, die als Treuhänder die Gelder ihrer Anleger verwalten, sind solche Unternehmen nicht investierbar. Ein solches Gesetz würde einer Zweiklassengesellschaft unter den börsennotierten Unternehmen Vorschub leisten und der Aktienkultur einen Bärendienst erweisen.