Im BlickfeldHaushaltskrise

Chemieindustrie in der Strompreisklemme

Energieintensive Konzerne befürchten nach dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts weitere Kostensteigerungen und sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit gefährdet. Die Chemieindustrie pocht auf Entlastungen im Strompreis.

Chemieindustrie in der Strompreisklemme

Chemieindustrie in der Strompreisklemme

Energieintensive Konzerne befürchten nach dem Haushaltsurteil weitere Kostensteigerungen und sehen ihre Wettbewerbsfähigkeit schwinden

Von Sabine Wadewitz, Frankfurt

Strom- und Gaspreise sind entscheidende Faktoren für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Chemieindustrie. Mit der Energiekrise infolge des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine hatte sich die Kostensituation für energieintensive Konzerne extrem verschlechtert. Inzwischen sind die Preise wieder gefallen, aber immer noch weit von früheren Niveaus entfernt. Wird das zum Dauerzustand, könnten große Teile der Chemieproduktion hierzulande nachhaltig nicht mehr rentabel sein, wird aus der Branche gewarnt.

Die Forderung nach einem Industriestrompreis von 6 Cent für die Zeit, bis genügend billiger grüner Strom verfügbar ist, ließ sich politisch nicht durchsetzen. Stattdessen hatte die Ampel-Koalition ein Strompreispaket aus Stromsteuersenkungen für das produzierende Gewerbe und Strompreiskompensation für energieintensive Unternehmen offeriert. Mit der Haushaltskrise nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Schuldenbremse steht es in den Sternen, ob dieses Paket umgesetzt werden kann, denn der Richterspruch betrifft auch den Klima- und Transformationsfonds.

Es könnte noch schlimmer kommen, wenn im anstehenden Sparprogramm der Bundesregierung, um das in Berlin derzeit hart gerungen wird, in der Vergangenheit gewährte Entlastungen und Subventionen wieder gestrichen würden.

Die Branche protestiert

Der Verband der Chemischen Industrie (VCI) zeigt sich besorgt, dass im Rahmen der Beratungen zum Nachtragshaushalt Entscheidungen getroffen würden, die die Strompreise spürbar erhöhen. „Die Strompreise in Deutschland sind bereits ein massiver Wettbewerbsnachteil. Wir kämpfen seit Monaten für Entlastungen. Da ist es vollkommen ignorant, wenn jetzt die geplanten Bundeszuschüsse zur Stabilisierung der Netzentgelte gestrichen werden und eine Verdopplung dieser Kosten für alle Stromverbraucher droht“, sagte VCI-Hauptgeschäftsführer Wolfgang Große Entrup.

Trotz aller Sparzwänge müssen Strompreiserhöhungen aus Sicht des Branchenvertreters außen vor sein. „Sonst wird den bereits massiv kämpfenden Unternehmen die eiskalte Schulter gezeigt und die Transformation zur Klimaneutralität weiter gefährdet“, so der Vorwurf aus dem VCI an die Politik.

Lieferverträge und Spotmarkt

Die Höhe der Strompreise in der Chemieindustrie hängt gegenwärtig von unterschiedlichsten Einflüssen ab und ist von einigen Entlastungen beeinflusst, die oft nach komplexen Formeln festgelegt werden. Von Transparenz kann man schwerlich sprechen.

Die meisten Unternehmen haben einen Liefervertrag mit einem Versorger, große Unternehmen haben in der Regel zudem eigene Energieeinkaufsabteilungen eingerichtet und bedienen sich zusätzlich am Spotmarkt, um Preisschwankungen mitzunehmen. Das verschafft die Möglichkeit, idealerweise dann einzukaufen, wenn zu viel Strom im Netz ist und die Preise sogar negativ werden können.

Verschiedene Zuschläge

Die Preisabstände in der Chemie sind abhängig von Unternehmensgröße und Energieintensität signifikant. „Der Grundpreis liegt für sehr große Unternehmen, also Großabnehmer, derzeit in der Größenordnung von 8 bis 10 Cent je Kilowattstunde (KWh), mittelgroße und kleinere Abnehmer zahlen mehr als 10 Cent“, erläutert Jörg Rothermel, Energieexperte im Chemieverband VCI.

In diesem Grundpreis enthalten ist in Europa ein beachtlicher CO2-Anteil, der abhängig ist vom CO2-Preis im EU-Emissionshandel. „Der CO2-Preis dürfte heutzutage in der Größenordnung zwischen 5 und 7 Cent je KWh liegen“, sagt Roth-ermel.

Auf den Grundpreis obendrauf kommen einige Zuschläge und Umlagen. Am bedeutendsten war laut Rothermel in der Vergangenheit neben den Netzentgelten die EEG-Umlage, die in der Spitze fast 7 Cent je KWh betrug. Das Geld geht in die Förderung von erneuerbarer Energie. Von dieser EEG-Umlage war die stromintensivere Industrie allerdings im Wesentlichen befreit. Das betraf gut 2.100 Unternehmen. Die EEG-Umlage wurde dann Mitte 2022 im Zuge des Entlastungspakets für Stromkunden als Förderung in den Haushalt umgebucht, wird seitdem also aus dem Staatshaushalt getragen und nicht mehr von den Unternehmen. Das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“ wurde nach früheren Angaben der Bundesregierung mit Absenkung der EEG-Umlage auf null mit rund 6,6 Mrd. Euro belastet.

Weitere Umlagen im Strompreis ergeben sich aus dem Kraftwärmekopplungsgesetz, und es gibt eine Wind-Offshore-Umlage, erläutert VCI-Energiefachmann Rothermel. „Das summiert sich auf 1 bis 1,5 Cent je KWh.“

Kostenfaktor Netzentgelt

Ein größerer Kostenbrocken sind zudem Netzentgelte, die alle Stromkunden zu zahlen haben und die in der Vergangenheit in einer Spanne zwischen 5 und 7 Cent lagen. Auch hier profitieren Großverbraucher, die das Netz gleichmäßig nutzen, von einer Entlastungsregelung. Sie werden aus beihilferechtlichen Gründen zwar nicht komplett von dem Netzentgelt befreit, die Entlastung kann aber bis zu 80 oder 90% reichen. Entsprechend nachdrücklich der Appell aus dem Chemieverband, an diesen Zuschüssen festzuhalten. Wer welche Netzentgelte zahlt, wird nicht erfasst. Der Kreis von Unternehmen, dem hier Entlastungen gewährt werden, soll aber deutlich kleiner sein als die Gruppe von 2.100 Unternehmen, die von der EEG-Umlage befreit war.

Der Weltmarktführer BASF hatte kürzlich mit Blick auf Netzentgelte darauf hingewiesen, dass der Konzern seinen Strom bislang mit eigenen Kraftwerken überwiegend selbst hergestellt hat, er mit dem Übergang auf grüne Energie aber künftig für eine deutlich größere Menge das öffentliche Netz nutzen und dafür zahlen muss, um Strom vom Windpark in der Nordsee ins Chemiewerk zu bringen.

Als Ökosteuer klassifiziert

Eine Stromsteuer hatte die rot-grüne Regierung im Jahr 1999 als Ökosteuer eingeführt. Sie beträgt im Regelfall, also für private Verbraucher, rund 2 Cent pro KWh, erläutert Rothermel. Für das produzierende Gewerbe sei ein reduzierter Steuersatz von 1,5 Cent festgelegt worden. Darauf wurde bislang zusätzlich ein Spitzenausgleich gewährt nach einer sehr komplizierten Formel – unter anderem abhängig von den vom Unternehmen zu zahlenden Rentenbeiträgen. „Der Spitzenausgleich reduziert die Stromsteuer von 1,5 Cent im Schnitt um 80 bis 90% für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes, die bestimmte Kriterien erfüllen“, sagt der VCI-Vertreter. Vom Spitzenausgleich profitierten rund 9.000 Unternehmen.

Staatliche Beihilfen

Gesonderte staatliche Beihilfen in Form einer Strompreiskompensation werden einem ausgewählten Kreis von energieintensiven Firmen gewährt, darunter viele Unternehmen aus der Stahl-, Papier- und Chemieindustrie. Welche Sektoren als besonders stromintensiv gelten, hat die EU in einer Beihilfeleitlinie festgelegt. In Deutschland fallen rund 350 Unternehmen unter die Strompreiskompensation. „Die  Kompensation berechnet sich für einzelne Produktionsanlagen auf Basis von Stromverbrauchsbenchmarks“, erläutert Rothermel. Die Kompensationsintensität dürfe maximal 75% betragen. „Somit reduziert sich die Kompensation auf in der Regel zwischen 50 und 70% der tatsächlichen Kosten, die man durch den CO2-Aufschlag hat“, ergänzt der VCI-Vertreter. Nach Angaben des Verbands profitieren aktuell 25 VCI-Mitgliedsunternehmen mit 150 Anlagen von dieser Entlastung.

Die gewährte Strompreiskompensation in Form von Beihilfen für indirekte CO2-Kosten fällt unterschiedlich hoch aus. Laut dem Transparenzbericht der Deutschen Emissionshandelsstelle stand 2021 der Aluminiumhersteller Trimet mit 73 Mill. Euro an der Spitze, gefolgt von Wacker Chemie mit 50 Mill. und Dow Deutschland im Werk Stade mit 41 Mill. Euro. BASF liegt trotz ihrer Größe mit 8 Mill. Euro nicht unter den Top 10.

Strompreispaket in der Schwebe

Das vor dem Haushaltsurteil des Bundesverfassungsgerichts präsentierte Strompreispaket der Ampel-Koalition sah als eine Komponente die Absenkung der Stromsteuer auf den europäischen Mindestsatz von 0,05 Cent für alle Unternehmen des produzierenden Gewerbes vor. Aus Sicht der Chemiebranche wäre das bestenfalls der Erhalt des Status quo. Denn die 9.000 Unternehmen, die bislang vom Spitzenausgleich profitieren, zahlten in der Regel maximal  0,2 bis 0,3 Cent Stromsteuer je KWh. Das würde mit dem neuen Paket weiter auf 0,05 Cent reduziert. „Das ist faktisch eine Verstetigung des Spitzenausgleichs, der mit dem Strompreispaket wegfallen würde. Das kann ein Unternehmen nicht retten, das wegen hoher Strompreise in Not ist“, unterstreicht Rothermel.

Von der versprochenen zusätzlichen Entlastung von 1 Mrd. Euro würden vor allem Firmen profitieren, die bisher keinen Spitzenausgleich hatten. Für diesen Kreis wäre es allerdings eine signifikante Kostensenkung, und das Strompreispaket war in vielen Branchen sehr positiv aufgenommen worden.

Als zweite Komponente sah das Strompreispaket vor, die Strompreiskompensation, die bislang schon den 350 energieintensiven Unternehmen als Beihilfe für CO2-Kosten gewährt wird, für die kommenden fünf Jahre festzuschreiben. Dass diese verstetigt wird, war im VCI sowieso erwartet worden, heißt es dort.

Keine Alternative

Zudem sollte das sogenannte „Super-Cap“ beibehalten werden. Das Super-Cap gilt für die Anlagen in der Strompreiskompensation, die eine besonders hohe Stromintensität haben. Das sind laut VCI etwa 90 Anlagen in der deutschen Industrie. Die Firmen sollten in dem neuen Paket sogar eine etwas höhere Kompensation erhalten. „Das ist eine kleine Hilfe, rettet aber nicht in der Breite“, so Rothermel. Wie viele Chemiefirmen unter das Super-Cap fallen, sei im VCI nicht bekannt. Für die Chemieindustrie könne das Strompreispaket, selbst wenn es so käme, „keine Alternative zu einem eigentlich erforderlichen Brückenstrompreis von 6 Cent sein“, bekräftigt der Verbandsvertreter.

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