LEITARTIKEL

China niest

Wenn die Vereinigten Staaten niesen, dann bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen", lautet ein schon älteres geflügeltes Wort zu den internationalen wirtschaftlichen Interdependenzen. Aber was bedeutet es heute, wenn China niest? Führt das auch...

China niest

Wenn die Vereinigten Staaten niesen, dann bekommt der Rest der Welt einen Schnupfen”, lautet ein schon älteres geflügeltes Wort zu den internationalen wirtschaftlichen Interdependenzen. Aber was bedeutet es heute, wenn China niest? Führt das auch nur zum Schnupfen, zu einer Grippe oder aber gar zu einer Lungenentzündung? Wie groß ist die Ansteckungsgefahr? Für die Automobilindustrie hat sich das Reich der Mitte binnen weniger Jahre zum wichtigsten Markt neben den USA entwickelt. Über Jahre verwöhnte China die Branche zunächst mit hohen zweistelligen Zuwachsraten. Und die erzielbaren Margen lagen weit über denen in den gesättigten Triade-Märkten USA, Europa und Japan. Wohl dem, der wie Volkswagen und General Motors frühzeitig die Chancen in Fernost erkannte und sich dort die Marktführung sicherte.Aber Märkte entwickeln sich in der Regel nicht stetig entlang einer ausschließlich nach oben gerichteten Wachstumslinie. Konjunkturelle und strukturelle Brüche treten immer wieder und unerwartet auf. Die große Kunst besteht deshalb darin, darauf eingestellt zu sein und schnell mit den richtigen Antworten zu reagieren.So weit die Theorie. In der Praxis hat die Schwäche des chinesischen Automarktes im bisherigen Jahresverlauf letztlich doch alle überrascht, trotz durchaus seit längerem erkennbarer Warnsignale. Die Pekinger Antikorruptionskampagne zielte auch auf den offenbar in Misskredit geratenen Erwerb von ausländischen Premiumfahrzeugen, die Kurseinbrüche an der Börse Schanghai untergraben das Vertrauen der Privatanleger in die erhoffte rosige Zukunft, am Immobilienmarkt herrscht Katerstimmung, eine ganze Reihe von Autoanbietern wurde zu kräftigen Preissenkungen für ihre Ersatzteile gezwungen, chinesische Hersteller machen aktuell mit preiswerten SUVs gegenüber den internationalen Wettbewerbern Boden am heimischen Markt gut. Kurz: Die Rahmenbedingungen in China haben sich deutlich verschlechtert.Im Juni wurden in China erstmals seit vielen Jahren in einem Monat wieder weniger Neuwagen verkauft als im Vorjahr. Die Wachstumsprognose für 2015 wurde vom Herstellerverband CAAM von bisher 7 auf nur noch 3 % drastisch zurückgenommen. Und allenthalben werden von Analysten die Gewinnschätzungen für die betroffenen Autohersteller – Ausnahme bisher Daimler – neu gerechnet und nach unten angepasst. Es ist in China offenbar doch mehr als nur der berühmte Sack Reis umgefallen. Den in diesen Tagen anstehenden Zwischenberichten der Autokonzerne für das zweite Quartal und das erste Halbjahr 2015 kommt damit mehr Aufmerksamkeit zu als ohnehin schon.Für VW steht China für 39 % des weltweiten Pkw-Absatzes, für GM für 36 %. Selbst PSA Peugeot Citroën und BMW verfügen mit etwa 20 bis 25 % Anteil über eine hohe Abhängigkeit vom Verkauf in Fernost. Wegen der bislang hohen Margen ist die Ergebniswirkung des Geschäfts in China noch bedeutender. Zum Nettogewinn trägt bei Volkswagen China zu mehr als der Hälfte bei, bei GM sind es nach Barclays-Schätzungen 40 %. Kräftig verdienen auch Daimler und BMW in China, hier auch in hohem Maße über Exporte.Operativ hat 2014 der Ergebnisanteil von Volkswagen an den chinesischen Joint Ventures mit SAIC und FAW 5,2 Mrd. Euro betragen. Den für 2015 absehbaren Margenrückgang könnten die Währungsvorteile aus dem schwächeren Euro nach Berenberg-Schätzung noch ausgleichen. Für 2016 rechnet das Institut aber mit einem Ergebnisrückgang auf 4,4 Mrd. Euro. Kein Wunder, dass reihenweise die Kursziele zurückgenommen werden. Aktuell notiert VW um mehr als ein Fünftel unter Jahreshoch. Die Anlageempfehlung wurde dagegen oft auf “Kaufen” belassen.Denn anders als der ausgereizte US-Automarkt oder die noch immer deutlich hinter den einstigen Rekorden zurückliegende europäische Verkaufsregion verspricht China auf lange Sicht das volumenstärkste Wachstum – zumal einst gehypte Märkte wie Brasilien, Russland und Indien die in sie gesteckten Erwartungen aus den verschiedensten Gründen nicht haben erfüllen können und wohl auch so schnell nicht erfüllen werden. Bis 2030 wird dagegen der chinesische Pkw-Markt von jetzt 19 Millionen Verkäufen auf gut 35 Millionen wachsen. Schon deshalb dürfte an den Plänen der Konzerne zum Kapazitätsausbau dort kaum gerüttelt werden. Aber das Wachstum in China muss härter als bisher erarbeitet werden, denn nicht nur die Margen “normalisieren” sich. Neue Kundengruppen in den westlichen, ländlichen Regionen fragen vor allem billigere Fahrzeuge nach. Für Premium wird es dort schwer.——–Von Peter OlsenDie Rahmenbedingungen haben sich deutlich verschlechtert. Aber auf lange Sicht bleibt China der Auto-Wachstumsmarkt.——-