Die Lastesel der Pekinger Stimulierungsagenda
Chinesische Banken ächzen unter neuen Aufgaben
Pekings Stimulierungsagenda belastet Profitabilität der Staatsriesen
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Trotz einiger bilanzkosmetischer Anstrengungen haben Chinas staatlich kontrollierte Großbanken größte Mühe, in diesem Jahr die gewohnt komfortablen mittleren einstelligen Gewinnzuwächse auszuweisen. Das Ertragsprofil der Kreditriesen wird von mehreren Seiten in die Zange genommen. Auffälligster Bremsfaktor ist die Entwicklung der Zinsmargen, die man mittlerweile als hauchdünn bezeichnen darf.
Ebenfalls problematisch ist die Entwicklung im Immobilienkreditgeschäft, wo die Institute unter Zwang stehen, massiv überschuldeten Bauträgern finanziellen Beistand zu leisten. Hier stehen die Institute unter Druck, Darlehen auszureichen, deren Ertrag in keinem gesunden Verhältnis zu latenten Ausfallrisiken stehen dürfte.
Bondhandel bringt Entlastung
Immerhin konnten die vier größten Kreditinstitute des Landes im dritten Quartal durchweg bessere Ergebnisse als in der ersten Jahreshälfte vorweisen. Dies liegt aber in erster Linie an auffällig hohen sonstigen operativen Erträgen, die nicht näher erläutert werden. Dahinter darf man untypisch kräftige Handelsgewinne aus dem Engagement im Staatsanleihenmarkt nach einer starken Bondrally in diesem Jahr vermuten.
Beim Marktführer Industrial and Commercial Bank of China (ICBC) zog der Gewinn nach Steuern im Septemberquartal um knapp 4% auf 99 Mrd. Yuan (rund 12,7 Mrd. Euro) an. Nach einem besonders schwachen ersten Quartal konnte die ICBC dank des Handelsergebnisses wieder etwas aufholen und weist für die neun Monate des Jahres einen minimalen Gewinnanstieg auf 267 Mrd. Yuan aus.
Rekordtiefe Zinsmargen
Bei praktisch allen börsennotierten chinesischen Kreditinstituten ist die Nettozinsmarge im Laufe des Jahres weiter unter die offizielle regulatorische Warngrenze bei 1,8% gedrückt worden. ICBC und die drei anderen von der Zentralregierung kontrollierten Megabanken, China Construction Bank, Agricultural Bank of China sowie Bank of China, liegen mittlerweile bei Werten zwischen 1,4 und 1,5%. Bei kleineren Banken, die in der Regel höheren Refinanzierungskosten gegenüberstehen, gibt es die ersten Fälle mit Zinsmargen unterhalb von 1%.
Loan Prime Rate schrumpft
Der Abwärtstrend hat vor zwei Jahren begonnen, sich aber in den letzten Monaten weiter verschärft, obwohl die Alarmglocken bereits läuten. Dies liegt vor allem daran, dass von Zentralbank verantwortete Zinssenkungsrunden bei den kurzfristigen Geldmarktzinsen und der einjährigen Medium-Term Loan Facility (MLF) auch auf die von den Großbanken austarierten Benchmark-Zinsen abfärben. Die sogenannte Loan Prime Rate (LPR) für einjährige Unternehmenskredite und fünfjährige Hypothekendarlehen wurde auf Druck der People's Bank of China (PBOC) hin in diesem Jahr überproportional stark zurückgenommen.
Rascher Einlagenabzug
Die Finanzregulatoren haben es den Banken allerdings gestattet, die Zinsen auf Spar- und Termineinlagen etwas zu senken. Dies gilt zwar als unpopuläre Maßnahme, mit der Peking stets vorsichtig umzugehen weiß, signalisiert aber, dass man auf die Margensituation etwas mehr Rücksicht nimmt. Diese Anpassungen wirken sich jedoch mit einem gewissen Time-lag aus, während die Senkungen der LPR-Zinsen direkt wirksam werden. Gleichzeitig stehen die Institute mit der nachlassenden Attraktivität von herkömmlichen Einlagen unter einem latenten Liquiditätsdruck, der weiter zunehmen dürfte.
Mindestreserve gelockert
Entlastungsmomente ergeben sich durch die Bereitschaft der PBOC, die Mindestreserveverpflichtungen, also den Anteil der Einlagengelder, die bei der Zentralbank geparkt werden müssen, weiter zu lockern. Dies soll den Banken Anreize und erweiterte Spielräume geben, die Kreditvergabeaktivität anzukurbeln und wirkt sich mittelbar auch positiv auf ihre Refinanzierungskosten aus. Die Liquiditätsfreisetzung ist allerdings auch dazu gedacht, neue Kapazitäten für die Unterbringung der gewaltigen Volumina an Sonderanleiheprogrammen von Zentralregierung und Gebietskörperschaften zu schaffen, mit denen Peking fiskalische Impulse zur Wirtschaftsankurbelung setzt.
Zinsimpuls mit Nebenwirkung
Eine Ende September mit Zinssenkungen eingeleitete Pekinger Stimulierungsoffensive hat zunächst vor allem am Aktienmarkt blitzschnelle Wirkung gezeigt und Chinas Börsen mit einem Schlag aus der Dauerbaisse befreit. Die lange brachliegenden Spekulationsinstinkte der chinesischen Kleinanleger sind auf spektakuläre Weise neu geweckt worden, was man im Bankenlager mit gemischten Gefühlen aufnimmt.
Anleger schichten um
Einerseits haben die Aktienkurse der Banken von der Hausse natürlich stark profitiert. Andererseits aber sieht man nun eine starke Umschichtungsbewegung in Aktien und riskantere Anlageformen. Für die Banken heißt das, dass sie im Bondmarkt mit einem Renditeauftrieb konfrontiert werden, der die Handelsergebnisse negativ beeinflussen kann. Gleichzeitig verschärft sich mit dem Wandel der Anlegerpräferenzen und dem damit verbundenen Abzug von Spar- und Termingeldern der Wettbewerb um günstige Refinanzierungsmittel und eine stabile Einlagenbasis.
Nachkarten im Interbankgeschäft
Zuletzt hat die Zentralbank mit sanftem Zwang dafür gesorgt, dass die Einlagenzinsen auf Interbank-Depositen weiter zurückgeschraubt werden. Die Guidance lautet, den Interbank-Einlagenzins eng an den im Laufe des Jahres von 1,8 auf 1,5% zurückgekommenen Leitzins für siebentägige Repogeschäfte zu halten. Im Zuge des verstärkten Ringens um Refinanzierungsmittel sah man jedoch Verspannungen, die den Interbank-Einlagenzins bei rund 1,8% verharren ließen.
Die neue Anforderung zur Senkung der Interbank-Einlagenzinsen gilt ebenfalls als konjunkturpolitisches Manöver. Peking erhofft sich aus der Mittelfreisetzung Kreditimpulse zur Wachstumsförderung. Für die Großbanken bedeutet es im Zweifelsfall eine weitere Belastung bei der Liquiditätssteuerung und eine Verhärtung des Refinanzierungswettlaufs.
Der Druck hält an
Analysten gehen davon aus, dass der Druck auf die Zinsmargen auch 2025 anhalten wird. Für die Großbanken rechnen sie mit einem Einkürzen der Nettozinsmarge von bis zu 5 Basispunkten in den nächsten Monaten und weiteren 5 bis 10 Basispunkten in der ersten Jahreshälfte. Bei den Aushängeschildern der Kreditwirtschaft dürfte die Marge dann auf etwa 1,3% verkümmern und keine forschen Gewinnzuwächse erlauben.