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Crunch Time für Amazon

Mit dem Versuch, ihre Prime-Kunden vertraglich zu fesseln, hat Amazon die Behörden auf den Plan gerufen. Knebelverträge sind indes kein probates Mittel der Kundenbindung.

Crunch Time für Amazon

Amazon

Crunch Time statt Prime Time

Von Heidi Rohde

Amazon ist dafür bekannt, dass einige der bedeutendsten Geschäftsideen lange als Randprodukt in einer riesigen Online-Warenpalette erschienen, um dann plötzlich in den strahlenden Mittelpunkt zu rücken. So war Amazon Web Services (AWS) bereits der weltgrößte Webhoster, als der Konzern dessen Umsatz und Gewinn erstmals offenlegte. Auch mit Details zu Prime hält Amazon sich zurück. Allerdings ist seit langem erkennbar, dass Amazon Prime mehr ist als ein Konkurrent von Netflix und Spotify bei Video- und Musik-Streaming. Der weltgrößte Onlinehändler verfolgt mit Prime eine klare Plattform-Strategie, die darauf abzielt, den Kunden mit immer mehr Services zunehmend an den Konzern zu binden, um so die Wertschöpfung je Kunde sukzessive zu erhöhen.

Letzteres erscheint auch geboten, denn der Sonderkonjunktur der Pandemie, in der Amazon unter anderem die Marke von weltweit 200 Millionen Prime-Abonnenten knackte, folgte ein Kostenschub durch Arbeitskräftemangel und Inflation, der die Investoren spätestens dann ernüchterte, als Amazon für das vergangene Jahr nicht mehr nur im internationalen Geschäft ausufernde Verluste meldete, sondern auch im amerikanischen Heimatmarkt. AWS ist zwar ein zuverlässiger Ergebnisbringer, aber das restliche Geschäft verschlingt nur Geld. Somit hat der Konzern mit einer saftigen Gebührenerhöhung gegengesteuert, der ein entsprechender Aufschrei der Kundschaft folgte. Seither stagniert das Prime-Kunden-Wachstum bestenfalls – und das, so scheint es, weil Amazon eine Kündigung ziemlich schwer macht.

Dies ist eigentlich ein Trick aus der Mottenkiste – und außerdem ein Missgriff, denn die Popularität von Prime rückt den Service auch bei den Behörden ins Rampenlicht. Diese schauen Amazon nicht nur auf die Finger, sondern haben im Umgang mit der Marktmacht von Big Tech auch jede Zimperlichkeit abgelegt. Nachdem Amazon die Klage der Verbraucherschutzbehörde FTC gegen die “Vertragsknebel” bei Prime ins Haus geschneit ist, wird sich das Unternehmen zweimal überlegen, ob ein gerichtlicher Schlagabtausch das Mittel der Wahl ist.

Sollte Kundenverhaftung statt Kundenbindung das neue Leitmotiv für Prime werden, dürfte Amazon schnell auf verlorenem Posten stehen. Und dieses Risiko ist eindeutig zu groß, denn in den Aufbau der Plattform hat der Konzern Milliarden gesteckt, seien es Video- oder Musik-Content oder andere Services – und diese Investitionen wollen geschützt sein.

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