Curevacs Gendefekt in der Governance
„The RNA people“ lautet der Claim unter dem Schriftzug von Curevac, das sich als weltweit führendes biopharmazeutisches Unternehmen auf dem Gebiet der Messenger-RNA versteht. Doch in der RNA einiger Vorstände und wohl auch Aufsichtsräte des Biotech-Unternehmens scheint es Defekte im Verständnis von Corporate Governance und Compliance zu geben. Denn der am 21. Juni erfolgte, der US-Börsenaufsicht SEC gemeldete und in den vergangenen Tagen auch hierzulande medienöffentlich gewordene Verkauf von Curevac-Aktien durch vier damals amtierende Vorstände im Wert von 38 Mill. Dollar hat aufgrund des Timings nicht nur ein „Geschmäckle“, wie man es am Stammsitz in Tübingen formulieren würde. Der Aktiendeal wenige Tage nach Bekanntwerden des Rückschlags von Curevac bei der Covid-19-Impfstoffentwicklung wirft einige grundsätzliche Fragen zum Verständnis guter Unternehmensführung bei dem seit August 2020 an der Technologiebörse Nasdaq notierten Unternehmen auf.
Aktienverkauf zur Unzeit
Stein des Anstoßes beziehungsweise der Aufregung: Der bis 30. Juni 2021 amtierende Chief Operating Officer und Curevac-Mitgründer Florian von der Mülbe verkaufte Aktien im Wert von knapp 34 Mill. Dollar, die Vorstandsmitglieder Pierre Kemula (Finanzen), Mariola Fotin-Mleczek (Technik) und Ulrike Gnad-Vogt (Entwicklung) verkauften Aktien im Wert von 2 respektive 1,4 Mill. Dollar. Laut Mitteilung an die SEC erfolgten die Verkäufe am 21. Juni, wenige Tage nach der Bekanntgabe des vorläufigen Berichts zur nur geringen Wirksamkeit des Covid-19-Impfstoffs CVnCoV der ersten Generation in der Phase 2b/3. Der vorläufige Bericht mit der unerwartet geringen Schutzwirkung von 47% hatte am 17. Juni zu einem Kurssturz der Curevac-Aktie um fast die Hälfte auf 53,50 Dollar geführt; auf einen Schlag gingen 7,7, Mrd. Dollar Börsenwert verloren. Die naheliegende Frage: Warum haben die Vorstandsmitglieder den Verkauf nicht gestoppt? Wussten sie vielleicht von weiteren drohenden Hiobsbotschaften im finalen Bericht, der bis Ende des Quartals vorgelegt werden sollte, oder von kursrelevanten Personalia wie jener, dass Mitgründer und ehemaliger CEO Ingmar Hoerr aus gesundheitlichen Gründen doch nicht wie geplant in den Aufsichtsrat wechseln werde, was am 22. Juni, zwei Tage vor der Hauptversammlung, bekannt wurde? Hatte womöglich doch Insiderwissen Einfluss auf die Aktienverkäufe?
Laut Curevac erfolgten die Verkäufe der vier Vorstände nach dem von der US-Börsenaufsicht SEC zugelassenen Aktienhandelsplan „10b5-1“, der schon Monate im Voraus Zeitpunkt und Volumen von Verkäufen festlegt und dazu dient, „permanenten Insidern“ wie beispielsweise Vorständen den Verkauf ihrer als Teil der Vergütung erhaltenen Aktien zu ermöglichen. Insofern ist die Erklärung von Curevac zum Aktienverkauf korrekt, wonach „keinerlei logische Kausalität zwischen den beschriebenen Transaktionen und aktuellen Firmenentwicklungen“ bestehe – zumindest keine nachweisliche. Unbeantwortet bleibt aber die Frage, warum die Verkäufe in eine Abfolge negativer Nachrichten und fallender Kurse erfolgten und der 10b5-1-Plan nicht ausgesetzt wurde. Letzteres ist nämlich möglich und gehört – in anderem Kontext – zu der von Experten häufig vorgebrachten Kritik an den 10b5-1-Plänen. Im Falle Curevacs musste bei außenstehenden Aktionären der Eindruck entstehen, dass wenn schon kein Insiderhandel vorlag, so doch zumindest das Vertrauen der Vorstände in eine weiterhin erfolgreiche Unternehmensentwicklung nach dem Rückschlag in Zweifel stand. Warum verkaufen Vorstände Aktien ihres Unternehmens nach einem drastischen Kursrutsch und schüren damit weitere Crash-Fantasien in einer Zeit, in der sich selbst der Großaktionär Dietmar Hopp genötigt sah, mit einer Art Vertrauenserklärung zur Zukunft von Curevac an die Öffentlichkeit zu gehen?
Transparenz in der Vergütung
Nun ist grundsätzlich gegen eine ausgeprägt aktienorientierte Vorstandsvergütung gerade bei einem jungen Biotech-Unternehmen ebenso wenig einzuwenden wie gegen den Verkauf dieser Aktien durch die Vorstände, deren Jahresbezüge aus Fixgehalt, Nebenleistungen und Bonus bei Curevac allesamt deutlich unter der Millionenmarke liegen. Allerdings existiert bei Curevac eine Vielzahl von individuellen Incentivierungen aus virtuellen und tatsächlichen Aktien wie auch Aktienoptionsplänen aus der Zeit vor und nach dem Börsengang, so dass für Außenstehende die Gesamtvergütung, ihre Zusammensetzung und die Spielregeln für die Ausübung von Optionen schwer nachzuvollziehen sind. Gleiches gilt für die sogenannten „Triggering Events“ der Aktienoptionspläne, die zwar im Jahresabschluss und Vergütungsbericht der Gesellschaft erwähnt, aber nicht weiter spezifiziert werden.
Sich allein auf die in den USA sehr verbreiteten Aktienverkaufspläne 10b5-1 zu verlassen, reicht nicht. Denn hinsichtlich Transparenz und Überwachung solcher Pläne gibt es erhebliche Defizite, die Missbrauch ermöglichen und auch schon die SEC zu kritischen Kommentaren veranlasst haben. Waren dem Aufsichtsrat von Curevac die 10b5-1-Pläne der Vorstände inhaltlich bekannt? Wenn nein, warum nicht? Wenn ja, warum hat er sie nach den sich verzögernden Studienergebnissen zur Wirksamkeit des Covid-19-Impfstoffs nicht gestoppt? Schließlich gab es keinen Zwang zum Verkauf der Aktien, und interessanterweise hat Vorstandschef Franz-Werner Haas anders als einige seiner Vorstandskollegen keine Aktien verkauft. Ihm, dem einzigen Juristen im Vorstand und einstigen Chief Compliance Officer beim früheren Arbeitgeber Sygnis Pharma, waren wohl das fragwürdige Timing wie auch die öffentliche Wirkung eines Verkaufs bewusst. Die in zwanzig Jahren vom Start-up zum börsennotierten kommerziellen Unternehmen gewachsene Curevac muss also nicht nur bei der Wirksamkeit ihres Covid-19-Wirkstoffes nachbessern, sondern auch ganz erheblich in der Corporate Governance.
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