Das Aus für Kickbacks setzt Neobroker unter Zugzwang
Aus für Kickbacks setzt Neobroker unter Zugzwang
Wie das Verbot von Rückvergütungen durch die EU ab Mitte 2026 den Wertpapierhandel schon jetzt verändert
Von Thomas Spengler, Stuttgart
Die Gründung der neuen Börse European Investor Exchange (EIX) durch Scalable Capital macht klar, dass die Karten im Wertpapierhandel neu gemischt werden. Treiber der Entwicklung sind das erwartete Ende der Payments for Orderflow (PFOF) sowie die entgeltfreien Handelsplätze, sogenannte Zero-Fee- oder Neobörsenhandelsplätze.
Seit geraumer Zeit ist eine Verlagerung der Handelsumsätze von Wertpapieren weg von den klassischen Börsen mit Entgeltmodellen hin zu weitgehend entgeltfreien Handelsplätzen, sogenannten Neobörsen, zu beobachten. Nachdem sich die Entwicklung seit 2015 mit dem Markteintritt von Neobrokern wie Trade Republic und Scalable mit ihren Zero-Fee-Plattformen beschleunigt hat, sorgt ein weiterer Faktor für zusätzlichen Druck. Gemeint ist das bis Mitte 2026 kommende Verbot der Europäischen Union von Rückvergütungen, sogenannten Kickbacks, das es in weiten Teilen Europas längst gibt.
Onlinebroker und insbesondere Neobroker sind dadurch unter Zugzwang geraten, basiert ihr Geschäftsmodell doch zu einem großen Teil auf Kickback-Erlösen, die sie für ihren Orderflow von Marketmakern erhalten. Zero-Fee-Börsen mit den Neobrokern müssen sich also dringend etwas einfallen lassen – „sie sind sozusagen zum Handeln verdammt“, sagt dazu Karsten Haesen, Vorstand der Tradegate AG Wertpapierhandelsbank in Berlin.
Geschäftsmodelle mit Potenzial
Sowohl sein Institut als Marketmaker als auch der Neobroker Scalable Capital haben unter dem Eindruck des erwarteten PFOF-Verbots neue Geschäftsmodelle entwickelt, die das Potenzial haben, den Wertpapierhandel neu zu erfinden – wahre Game-Changer also. So bieten die Berliner mit Tradegate.direct seit Juni eine App, über die die Kunden direkt handeln können, ohne über einen Orderflow-Provider (OFP) gehen zu müssen. Umgekehrt macht es der OFP und Neobroker Scalable Capital, der Marketmaker-Expertise aufbaut und somit die Quelle der Kickbacks internalisiert. Entscheidend wird nun sein, ob es dem Neobroker Scalable gelingt, selbst Kursgewinne aus dem Marketmaking an den Handelsplätzen zu generieren. „Das ist nicht trivial, aber angesichts unseres erfahrenen Teams erreichbar“, sagt Dirk Urmoneit, Chief Strategy Officer (CSO) von Scalable.
Wandel im Wertpapierhandel
Gleichzeitig schafft sich der Neobroker mit der EIX seine eigene Börse mit einer monatlichen Flatrate von 4,99 Euro, bei der die Börse Hannover die Handelsüberwachung stellt. Gemeinsam ist beiden Modellen, dass Tradegate und Scalable ihre Wertschöpfungskette verlängern, indem sie Funktionen integrieren, die bisher von anderen Spezialinstituten wahrgenommen wurden. „Wenn die beiden Modelle reüssieren, kommt dies einem fundamentalen Wandel im Wertpapierhandel gleich“, ist sich ein hochrangiger Börsianer sicher.
Dass damit den Marketmakern ein Stück Butter vom Brot genommen wird, spiegelte sich im Kurs der Baader Bank wider, die auf dem Münchner elektronischen Handelssystem Gettex als Marketmaker tätig ist. Nachdem der OFP Scalable angekündigt hatte, künftig selbst als Marketmaker zu agieren und bis Ende 2025 das Depotgeschäft, das bisher bei Baader liegt, an sich zu ziehen, ging der Kurs des Marketmakers prompt in die Knie. Zu erwarten ist auch, dass Scalable ihre Orders zulasten von Gettex bevorzugt an die neue EIX routen wird.
Einer muss die Rechnung zahlen
Wenn also vor dem Hintergrund des PFOF-Verbots eine wichtige Erlösquelle wie Kickbacks wegfällt, muss dennoch einer die Rechnung zahlen, will man den Anspruch einer Zero-Fee-Börse aufrechterhalten. Dass dies über eine Ausweitung des Spreads passiert, hält man am Markt aber für nahezu undenkbar. „Die Geld/Brief-Spannen werden eher noch enger“, rechnet Urmoneit. Dafür sorge schon der harte Wettbewerb. Statt einer Ausweitung der Spreads erwarten Beobachter vielmehr eine Erhöhung der Gebühren – nicht unbedingt im Handel, sondern auch in anderen Bereichen wie etwa dem Depot- oder Einlagengeschäft der Neobroker, das teilweise noch aufgebaut werden muss. „Denkbar sind gebührenpflichtige Pakete für Services außerhalb des Wertpapierhandels, die speziell geschnürt werden“, erläutert Haesen. Die Frage wird also sein, welches Maß an Gebührenerhöhungen die Kunden bereit sind mitzumachen.
Mehr Trades pro Kunde als erwartet
Nachdem Tradegate bereits im Juni mit ihrer als OFP fungierenden App Tradegate.direct an den Markt gegangen ist, kann das Finanzinstitut auf erste Erfahrungen verweisen. „Die Trades pro Kunde liegen höher als angenommen“, erläutert Haesen. Auch das Asset-Universum über 10.000 Wertpapiere aus den Anlageklassen Aktien, ETPs und Mini Futures ist den Kunden offenbar noch zu klein.
Nicht ohne Risiko für Tradegate
Insbesondere das Portfolio an Derivaten werde man daher 2025 weiter ausbauen, kündigt Haesen an. Dennoch, Tradegate.direct ist für die Berliner nicht risikolos, schließlich hängt die weitere Entwicklung zu einem guten Teil von den bisherigen OFPs ab, also Banken und Onlinebrokern, von denen manche nicht amused seien, wie zu hören ist. So soll es Anbieter geben, die Tradegate an erster Stelle ihrer Ausführungslisten stehen haben und nun eine Änderung dieser Praxis erwägen. Haesen sieht Tradegate.direct indessen nicht als Konkurrenz für andere OFPs an, sondern als einen weiteren Anbieter, der sich seine Kundschaft auch erstmal erarbeiten muss.
Bereits seit zwei Jahren beschäftigt sich Scalable nach eigenen Angaben mit der Verlängerung ihrer Wertschöpfungskette. Als einen wichtigen Bestandteil dieser Strategie hat der Münchner Neobroker einen Erlaubnisantrag für das Einlagengeschäft gestellt, um neben der Depotführung künftig auch selbst Einlagen annehmen zu können.
Warten auf Reaktion anderer Marktteilnehmer
Darüber hinaus sieht Urmoneit aufgrund der Größe von Scalable mit einer Kundenanzahl von rund einer Million ein substanzielles Einsparpotenzial an Kosten im neuen Marketmaking. Dafür rechnet Urmoneit mit einem „relevanten Flow an Orders“, die die Scalable-Kunden an der neuen EIX, die am 8. Dezember 2024 in Betrieb ging, ausgeführt haben wollen. Kleinere Wettbewerber dürften hier eher Nachteile haben, schätzt er. Indessen gibt sich die EIX, an der auch MWB Fairtrade als Marketmaker tätig ist, offen für weitere OFPs. „Wir freuen uns über jeden weiteren Onlinebroker als Marktteilnehmer“, macht Urmoneit klar. Jetzt, da Tradegate und Scalable vorgelegt haben, wie sie sich ein Leben ohne Rückvergütungen vorstellen, wartet die Branche darauf, wie andere Akteure am Markt, besonders Trade Republic und der Marketmaker Lang & Schwarz, auf das PFOF-Verbot reagieren werden.