Das Erbe der Bistros
Notiert in Paris
Das Erbe der Bistros
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Von Gesche Wüpper
Schnell vor der Arbeit einen kleinen Kaffee am Tresen trinken, in der Mittagspause ein Plat du Jour im belebten Saal essen, nach Feierabend mit Freunden einen Apéritif auf der Terrasse trinken und dabei den Tag Revue passieren lassen: Paris ohne Cafés und Bistros? Undenkbar! Beides ist fester Bestandteil der französischen Lebensart. „Vor einer Tasse Kaffee oder einem Glas Wein sind wir alle gleich“, sagt Gastwirt Alain Fontaine vom Pariser Bistro „Le Mesturet“. Ursprünglich seien die Bistros als Restaurationsbetriebe von Arbeitern für Arbeiter entstanden, erklärt er. Doch sie seien dann zu einem Ort geworden, an dem Klassen und Herkunft in den Hintergrund träten, an dem jeder mit jedem rede.
„Um den Geist der Bistros zu beschreiben, lässt sich die französische Devise ‚Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit‘ zitieren“, meint Fontaine. Für ihn sind die Bistros und Cafés denn auch untrennbar mit der französischen Geschichte verbunden. Deshalb kämpft er zusammen mit seinem Verein dafür, dass die Lebensart der französischen Bistros und Cafés als immaterielles Kulturerbe anerkannt wird.
Bistrosterben beschleunigt sich
Einen ersten Erfolg haben sie dabei bereits erzielt, denn Frankreich hat Bistros und Cafés gerade in seine Liste immaterieller Kulturgüter aufgenommen, da sie ein wesentlicher Bestandteil des sozialen und kulturellen Lebens der Franzosen sind. Die Aufnahme in die Liste gilt als erster Schritt für eine Bewerbung als immaterielles Weltkulturerbe bei der UN-Kulturorganisation Unesco. Bis dahin können allerdings noch ein paar Jahre vergehen, da jedes Land nur alle zwei Jahre eine Bewerbung dafür einreichen darf. Erst vor zwei Jahren wurde das französische Baguette von der Unesco als Weltkulturerbe anerkannt, 2010 die gastronomische Küche Frankreichs.
„Wir müssen diese Lebensräume schützen, sie sind wertvoll“, argumentiert Fontaine. Denn das Bistrosterben in Frankreich hat sich beschleunigt, auch wenn Frankreich nach Angaben von Laurent Bihl, einem Geschichtsprofessor von der Sorbonne, das Land in Europa ist, dem es am besten gelungen ist, seine Cafés „in ihrem Saft“ zu erhalten, wie man auf Französisch sagt, wenn etwas von der Einrichtung her noch wie früher geblieben ist. Dennoch ist die Zahl der Bistros seit 1960 von 200.000 auf rund 35.000 eingebrochen. Etwas mehr als 1.000 davon befinden sich in Paris. Dabei waren es vor 50 Jahren noch 5.500.
Coffeeshops à la Starbucks auf dem Vormarsch
Cafés und Bistros leiden unter der verstärkten Konkurrenz von Fastfood-Restaurants und Bäckereien, von denen mittlerweile viele auch Kaffee und kleine Snacks anbieten. Zudem sind Coffeeshops à la Starbucks auf dem Vormarsch. Jede Woche werde in Frankreich mindestens einer eröffnet, sagt David Serruys von der Vereinigung Collectif Café. Mittlerweile gebe es landesweit 3.500 bis 4.000. Traditionelle Bistros und Cafés leiden aber auch unter der verstärkten Arbeit im Homeoffice sowie dem Anstieg von Kosten und Löhnen seit Covid.