Das geschlossene Fenster
Microsoft hat in seltener Klarheit befunden, dass die erst vor 15 Monaten abgeschlossene Nokia-Übernahme rein finanziell ein Totalausfall war. Bei einem Kaufpreis von 7,5 Mrd. Dollar wurden 7,6 Mrd. Dollar abgeschrieben. Microsoft rechnet zudem mit bis zu 850 Mill. Dollar an Restrukturierungskosten. Mit dem Amtsantritt von CEO Satya Nadella im vergangenen Jahr ist die Personalabteilung von Microsoft ein Verkaufsargument los, das seit Jahrzehnten Softwareingenieure aus dem Silicon Valley ins mehr als 1 200 Kilometer nördlich gelegene Redmond (Washington) gelockt hatte: Die im Vergleich zu vielen Wettbewerbern deutlich ausgeprägtere Jobsicherheit gibt es nicht mehr. Im Sommer 2014 hatte Nadella bereits eine fünfstellige Anzahl von Mitarbeitern vor die Tür gesetzt. Nun folgen weitere 7 800 – überwiegend aus der Smartphone-Sparte.Neben der personellen beendet Nadella auch die strategische Kontinuität. Zwar hieß es zunächst, dass die von Ex-CEO Steve Ballmer ausgearbeitete Strategie weiter verfolgt werde. Tatsächlich hat Microsoft aber längst eine Kehrtwende vollzogen. Der langjährige Konzernchef hatte stets betont, er wolle Windows auf allen Geräten sehen: vom Smartphone bis zum Großrechner. “Nicht in der Konsumenten-Cloud, nicht bei Hardware-Software-Innovationen: Wir werden Apple keinen Meter gönnen. Nicht mit mir”, hatte Ballmer noch Ende 2012 in einem Interview getönt. Dabei war der Zug im Privatkundengeschäft längst abgefahren. Denn das Zentrum der privaten Computernutzung ist nicht der heimische PC, sondern es sind überall nutzbare mobile Geräte wie Tablet-Rechner oder Smartphones. 2015 rechnen Analysten damit, dass weltweit nicht einmal mehr 300 Millionen klassische PCs verkauft werden. Dem steht ein erwarteter Smartphone-Absatz von 1,5 Milliarden Geräten gegenüber. Hier hinkt Microsofts Windows-Phone-Plattform mit weniger als 3 % Marktanteil meilenweit hinterher. Das Selbstverständnis des Konzerns, den Computermassenmarkt zu beherrschen, leidet seit Jahren. Nadella hat dies erkannt und versucht nun, die Verluste zu begrenzen.Für Microsoft ist dies aber nur der erste Schritt. Der Softwarekonzern muss nun zeigen, wie er seine noch immer starke Position in vielen Geschäftsfeldern ausbauen kann, ohne wie zuvor alles auf das Zugpferd Windows auszurichten. Nadella setzt dabei auf eine größere Unabhängigkeit der Produktgruppen. Recht spät hat Microsoft begonnen, das marktführende Bürosoftwarepaket Office den Nutzern von iPhone, iPad und den diversen mobilen Android-Geräten anzubieten. Als der Softwarekonzern sich unter Ballmer noch der Windows-zentrischen Strategie verschrieben hatte, wäre dies undenkbar gewesen. Nun kann die Office-Gruppe freier agieren und ihre Marktposition unabhängig von Marktanteilsverschiebungen bei den Betriebssystemen ausbauen.Auch andere Geschäftsbereiche profitieren von der Aufgabe des starren Fokus auf Windows. Microsoft legt etwa im Cloud-Geschäft mit der Plattform Azure und weiteren Produkten prozentual dreistellig zu. Zudem setzt Microsoft nach einigen Fehleinkäufen in der Vergangenheit nun mehr auf Kooperation statt auf Wachstum durch Übernahmen. Unter anderem wird im Cloud-Geschäft mit Salesforce und Box zusammengearbeitet.Das heißt indes nicht, dass Microsoft die Steigerung des Windows-Marktanteils gänzlich aufgeben darf. Das Betriebssystem kann in Zeiten von Smartphones und Tabletrechnern zwar nicht mehr vergleichbar profitabel sein wie in den vergangenen Jahrzehnten. Dafür dient es weiterhin hervorragend als Verkaufsplattform für andere Produkte. Wenn Ende des Monats das neue Betriebssystem “Windows 10” auf den Markt kommt und für fast alle PC-Anwender ein kostenloses Update sein wird, zeigt dies, dass Microsoft dies längst einsieht. Zwar wird man das Konsumentengeschäft sicher nicht so bald dominieren. Google und Apple haben hier eine zu starke Basis. Mit dem kostenlosen Windows hält Nadella Microsoft aber im Spiel, während zugleich auf die Gruppe gezielt wird, die weder Apple noch Google passgenau bedienen: Firmenkunden. Indem Microsoft ihre Anstrengungen reduziert, den professionellen Anwendern Windows auf allen Geräten aufzuzwingen, können die anderen Microsoft-Dienste an mehr Anwender verkauft werden. Manchmal muss ein Fenster geschlossen werden, damit sich andere öffnen. Die Abschreibung auf Nokia zeigt, dass Microsoft bereit ist, dies unter Nadella zu tun.——–Von Sebastian SchmidMit der Abschreibung auf Nokia verabschiedet sich Microsoft endgültig von ihrer Windows-zentrischen Strategie. Eine späte Einsicht, die Chancen eröffnet.——-