Das ist kein Witz
Notiert in Moskau
Das ist kein Witz
Von Eduard Steiner
Vor zehn Jahren starb Žarko Petan. Ihm, dem slowenischen und bis zum Wendejahr 1989 noch jugoslawischen Schriftsteller, der zeitweise in einer unterirdischen Einzelzelle eines Belgrader Gefängnisses inhaftiert war, verdanken wir Tausende von Aphorismen aus dem Innenleben einer Diktatur. Bei Weitem nicht alle von ihnen sind politisch. „Es gibt kein Leben vor dem Tod“, schrieb er da etwa. Oder: „Gib mir den Schlüssel zu Deinem Herzen. Ich will raus.“ Insgesamt ist das Lachen über das politische Unterdrückungs- und Absurditätensystem dominant.
An Petan wurde ich immer wieder erinnert, als Alexej Nawalny sich über den Kreml und Russlands diktatorisches System lustig machte. Schon bei unserem ersten Treffen im Februar 2010, als er noch wenig bekannt war und als erster russischer Shareholder-Value-Aktivist in korrupten Staatskonzernen agierte, war zu erkennen, dass der Witz für den Korruptionsbekämpfer und Oppositionspolitiker nicht nur ein Lebenselixier, sondern überhaupt eine politische Methode war. Der Kampf gegen Korruption müsse Spaß machen, lautete das Credo Nawalnys, der vor knapp zwei Wochen in der lebensbedrohlichen Haft gestorben ist oder ermordet wurde. Und Videoaufzeichnungen zufolge ist er seiner Methode bis in die letzten Tage seines Lebens verblüffend treu geblieben.
Witze über Putin
Was es mit dem Witz als Indikator für die gesellschaftliche Stimmung in Russland auf sich hat, hat die ehemalige Kulturwissenschaftlerin Christine Engel in der aktuellen Ausgabe der interdisziplinären Monatszeitschrift „Osteuropa“ analysiert. In Russland reagiere „dieses Genre rege und sarkastisch auf die politische Entwicklung“, und zwar bis hin zu den westlichen Sanktionen oder die Teilmobilmachung für den Krieg gegen die Ukraine. „Wladimir Putin ist die überragende Figur. Sein Image in den Witzen ist schlecht: Er gilt als abgehoben und verlogen, zynisch und kalt, seine Kommunikation mit der Bevölkerung läuft ins Leere.“ Und weiter: Diese Witze seien eher die Waffe des Schwächeren. „Aber man bleibt zumindest der moralische Sieger, da das mächtige Gegenüber entlarvt wird. Eine politische Sprengkraft haben solche Witze kaum, aber sie können sehr wohl die Gruppensolidarität stärken, indem sie Signale an Gleichgesinnte senden.“ Alles in allem würden die russischen Politikwitze „zwischen 2020 und 2023 eine resignative Grundstimmung“ vermitteln.
In einem dieser Witze wird schon die Anzahl der Witze über Putin selbst zum Witz. Putin: Ach, Alina (Vorname von Putins Partnerin Kabajewa, Anm.), ich glaube, ich muss bald sterben.
Kabajewa: Um Gottes willen, was ist los mit Dir? Wieso denn? Putin: Über mich sind genau so viele Witze im Umlauf wie über Breschnew in seinen letzten Lebensjahren.
Tja, für Mitte März stehen die nächsten Präsidentenwahlen an. Zu ihrem Ergebnis wird man wieder einmal Žarko Petan zitieren können: „Die Wahlen verliefen demokratisch: Jeder konnte sich zwischen ‚Ja‘ und ‚Jawohl‘ entscheiden.“