LEITARTIKEL

Das kulturelle Erbe von Trump

Donald Trump produziert reihenweise Unsinn, Entgleisungen und Widerwärtigkeiten. Wer Politik betreibt oder Wirtschaftsbeziehungen pflegt, der muss dieses Handeln des US-Präsidenten analysieren - und tut es auch mit professioneller Kühle. Doch die...

Das kulturelle Erbe von Trump

Donald Trump produziert reihenweise Unsinn, Entgleisungen und Widerwärtigkeiten. Wer Politik betreibt oder Wirtschaftsbeziehungen pflegt, der muss dieses Handeln des US-Präsidenten analysieren – und tut es auch mit professioneller Kühle. Doch die Bürger Europas koppeln sich zunehmend ab vom Phänomen Trump. Ein Teil des Publikums reagiert mit Überdruss, will auch keine Medienkommentare mehr zu dem Thema lesen. Schließlich führe es zu nichts, so die Meinung. Ein anderer Teil verfolgt das Geschehen wie eine Fernsehserie mit ihren überraschenden und auch gruseligen Wendungen: distanziert, aber voller Spannung auf den nächsten Teil. Denn Aufregung und Emotion sind garantiert.Das Ignorieren ist ein Selbstschutz, und die Wahrnehmung als spooky TV-Serie folgt ebenfalls diesem Ziel: Das Phänomen Trump rückt in die Ferne. Dies kann man sich leisten, solange das Irrlichtern des Präsidenten nicht das eigene Lebensumfeld trifft. Insofern ist die Distanzierung rational, sie schützt das eigene psychische Wohlergehen. Leider greift sie zu kurz, und zwar aus einem Grund, den auch die Experten, die den US-Spitzenmann mit professioneller Kühle sezieren, nicht berücksichtigen: Trump verändert die Kultur. Dieses Erbe droht Europa zu belasten. Das einzige Gegenmittel ist es, sich die Gefahr bewusst zu machen und aktiv dagegen anzugehen.Die Wirtschaft hat dabei eine besondere Verantwortung, weil sie die Macht hat, konkrete Vorgaben für Verhaltensweisen in Firmen zu machen. Corporate Governance und Unternehmenskultur fallen eben nicht vom Himmel. Ethisches Handeln erfordert einen Rahmen. Manager, Gewerkschaften und Arbeitnehmer werden in diesen Dimensionen viel stärker gefordert werden als in der Vergangenheit.Ist diese Analyse übertrieben? Die Frage ist mit letztgültiger Sicherheit erst in einigen Jahren zu beantworten. Doch US-Einflüsse auf die Kultur schlagen sich in der Regel bei uns nieder, wenngleich mit Verzögerung. Sie werden es auch in diesem Fall tun, wenn wir uns nicht wehren und unsere Werte verteidigen, und zwar jeder an seinem Platz.Ein Beispiel: Infolge des Siemens-Korruptionsskandals wurde die Compliance in Deutschland gestärkt. Dazu gehört auch, dass in Firmen meist ein System für Hinweisgeber existiert. Whistleblower werden konsequent geschützt, wenn sie auf vermeintliche oder tatsächliche Missstände in Unternehmen hinweisen. Denn es ist offensichtlich: Wenn die Anonymität nicht gewahrt bleibt und berufliche Nachteile möglich sind, erhöht sich die Hemmschwelle, den Finger zu heben. Doch was macht Trump? Er brandmarkt jenen US-Behördenmitarbeiter, der öffentlich gemacht hatte, dass Trump in einem Telefonat mit seinem ukrainischen Amtskollegen auf eine Ermittlung gegen den Sohn seines Widersachers Joe Biden von den Demokraten gedrungen hatte, als eine Art Spion. Er setzt hinzu, in alten Zeiten sei man mit Spionen und Verrat ein bisschen anders umgegangen als heute.Es muss in allen Unternehmen klar sein: Solche alten Zeiten wollen wir nicht. Nicht nur in den Compliance-Vorschriften, sondern vor allem im operativen Alltag muss auch der “Deal” à la Trump gebrandmarkt sein. Es ist ein Unding, überhaupt daran zu denken, den G-7-Gipfel in der eigenen Hotelkette einzuquartieren, so wie es verwerflich ist, ausländische Staatschefs zur Verfolgung eigener politischer Gegner aufzufordern. Für Unternehmen bedeutet dies: Wer seine persönlichen Ziele über geschäftliche Aspekte stellt, darf nicht belohnt, sondern muss bestraft werden. Dreistigkeit ist keine Qualität, sondern eine Charakterschwäche. Dass in den USA viele republikanische Senatoren aus Angst, nicht wiedergewählt zu werden, die Eskapaden protestlos hinnehmen, ist ein Trauerspiel. Im Gegensatz hierzu sollte belohnt werden, wer in hiesigen Unternehmen darauf hinweist, dass der Kaiser keine Kleider trägt.——Von Michael FlämigDie Politik des US-Präsidenten ist kaum beeinflussbar. Aber jeder Einzelne kann sich dagegen verwahren, dass sich die Trump-Unkultur in Europa breitmacht.——