Das Lieferkettengesetz mutet mittelgroßen Unternehmen einiges zu
Das Lieferkettengesetz mutet mittelgroßen Unternehmen einiges zu
Der Schwellenwert für vom Lieferkettengesetz betroffene Unternehmen wurde Anfang des Jahres auf 1.000 Mitarbeiter gesenkt – Konzerne wie Nestlé haben Größenvorteile genutzt
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Mit dem Jahreswechsel ist die Zahl der Unternehmen, die vom sogenannten Lieferkettengesetz betroffen sind, drastisch gestiegen. Denn seit dem 1. Januar betrifft das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) bereits Firmen ab einem Schwellenwert von mehr als 1.000 Mitarbeitern im Inland. Bislang waren dafür mehr als 3.000 Mitarbeiter nötig. Das hat für die mittelgroßen Firmen, die von nun an verschiedene Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt innerhalb ihrer Lieferketten zu beachten haben, gravierende Folgen. Die Zahl der Unternehmen, die solche Pflichten auferlegt bekommen, dürfte in absehbarer Zeit sogar noch spürbar steigen, denn EU-Parlament und -Rat haben sich jüngst auf ein weitaus strengeres Gesetz geeinigt. Dessen Grenzwert liegt bei 500 Beschäftigten, sofern weltweit mehr als 150 Mill. Euro umgesetzt werden. Das EU-Lieferkettengesetz muss aber noch in den Länderparlamenten ratifiziert werden.
Menschenrechte und Umwelt
Mit dem LkSG werden in Deutschland ansässige Unternehmen dazu verpflichtet, die festgelegten „menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten in angemessener Weise zu beachten mit dem Ziel, menschenrechtlichen oder umweltbezogenen Risiken vorzubeugen oder sie zu minimieren oder die Verletzung menschenrechtsbezogener oder umweltbezogener Pflichten zu beenden“ (§3 Absatz 1 Satz 1 LkSG).
Die Sorgfaltspflichten umfassen nach §3 Absatz 1 Satz 2 des LkSG:
- die Einrichtung eines Risikomanagements (§4 Absatz 1),
- die Festlegung einer betriebsinternen Zuständigkeit (§4 Absatz 3),
- die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen (§5),
- die Abgabe einer Grundsatzerklärung (§6 Absatz 2),
- die Verankerung von Präventionsmaßnahmen im eigenen Geschäftsbereich (§6 Absätze 1 und 3) und gegenüber unmittelbaren Zulieferern (§6 Abs. 4),
- das Ergreifen von Abhilfemaßnahmen (§7 Absätze 1 bis 3),
- die Einrichtung eines Beschwerdeverfahrens (§8),
- die Umsetzung von Sorgfaltspflichten in Bezug auf Risiken bei mittelbaren Zulieferern (§9) und
- die Dokumentation (§10 Absatz 1) und die Berichterstattung (§10 Absatz 2)
Es geht um sogenannte Bemühenspflichten; dem LkSG verpflichtete Unternehmen schulden also keinen bestimmten Erfolg. Verlangt wird lediglich, dass in angemessenem Umfang Vorkehrungen getroffen werden, um den Eintritt einer Verletzung des Gesetzes zu verhindern. Dazu gehören im Wesentlichen Berichte über die Lieferketten, Meldungen bei Verstößen durch Lieferanten und die Ergreifung geeigneter Maßnahmen, um solche Verstöße künftig zu vermeiden.
Bußgelder bei Verstößen
Die Prüfung der Einhaltung des Gesetzes erfolgt durch das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa). Bei Verstößen gegen das Gesetz können Bußgelder von bis zu 800.000 Euro verhängt werden; bei Unternehmen mit einem Umsatz von mehr als 400 Mill. Euro kann das Bußgeld bis zu 2% des globalen Umsatzes betragen. Wird ein Bußgeld von 175.000 Euro oder mehr verhängt, kann das betroffene Unternehmen für bis zu drei Jahre von der Vergabe öffentlicher Aufträge ausgeschlossen werden. Große Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern müssen bereits seit Anfang 2023 die Pflichten des LkSG erfüllen. Nach Angaben des Bafa betraf das Gesetz damit etwa 1.300 Unternehmen. Diese Zahl ist nun auf rund 5.200 gestiegen.
Global Player vorneweg
Insbesondere Konzerne mit starkem internationalen Geschäft bemühen sich schon seit Jahren, auf die Einhaltung von Menschenrechten und Umweltstandards in ihren Lieferketten zu achten – nicht zuletzt aufgrund des Drucks durch Nichtregierungsorganisationen (NGOs) und institutionelle Investoren, die verstärkt auf Nachhaltigkeit dringen. Diese Global Player sind daher schon deutlich weiter in der Erfüllung der in den Lieferkettengesetzen geforderten Pflichten als Unternehmen, die etwa durch das LkSG gerade erst dazu verpflichtet wurden.
Nestlé DeutschlandWir unterstützen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ausdrücklich.
So hat sich Nestlé, der Lebensmittelriese aus der Schweiz, verpflichtet, über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg die Menschenrechte – in Übereinstimmung mit den Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen – zu respektieren und zu fördern. Der Konzern beschäftigt in Deutschland rund 8.300 Mitarbeiter – fällt also unter das LkSG. "Wir unterstützen das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz ausdrücklich", teilt Nestlé mit. Das Gesetz schaffe gleiche Bedingungen für alle Beteiligten innerhalb der Lieferkette und lege die Sorgfaltspflichten von Unternehmen zum Schutz der Menschenrechte fest.
Kosten bleiben im Rahmen
Bei Nestlé sei der "Responsible Sourcing Standard" Grundlage für eine gute Zusammenarbeit mit den Lieferanten weltweit; dessen Einhaltung werde regelmäßig und systematisch überprüft. Innerhalb der Nestlé-Gruppe trügen u.a. die firmeneigene "Human Rights Policy" sowie ein "Human Rights Framework" zur Umsetzung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflichten bei. "Durch die bereits etablierten Strukturen und Ressourcen liegen die Kosten für die Umsetzung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes im deutschen Markt in einem überschaubaren Rahmen", erklärt der Konzern.
Die größten Herausforderungen bestehen laut Nestlé darin, bestmögliche Transparenz in der Lieferkette zu schaffen und alle Beteiligten zu integrieren. Dies gestalte sich besonders dann schwierig, wenn Partner nicht mit den Anforderungen des LkSG vertraut sind. Häufig sei das der Fall, wenn diese im Ausland ansässig oder selbst nicht von dem Gesetz betroffen sind. Insbesondere mit diesen Lieferanten müssten gemeinsame Lösungsansätze entwickelt werden – "was sehr aufwendig sein kann", wie Nestlé einräumt.
Pläne, Programme, Standards
Das LkSG beziehe sich zunächst nur auf die Zusammenarbeit von Nestlé Deutschland mit unmittelbaren Lieferanten. Durch den "Responsible Sourcing Standard" will das Unternehmen dafür sorgen, dass diese Partner in den vorgelagerten Lieferstufen – etwa bei den Landwirten, von denen sie Rohstoffe beziehen – ebenfalls den Schutz der Menschenrechte sicherstellen. In besonders kritischen Bereichen wie dem Anbau von Kakao und Kaffee hat Nestlé auf globaler Ebene spezielle Programme aufgesetzt, etwa den "Nestlé Cocoa Plan" oder das "Income Accelerator Program", um menschenrechtliche Risiken und Maßnahmen direkt bei den Landwirten zu adressieren.
Das 2022 eingeführte „Income Accelerator Program“ baut auf dem "Nestlé Cocoa Plan" auf, mit dem seit mehr als einem Jahrzehnt versucht wird, die Lebensbedingungen von Kakaofarmern in der Elfenbeinküste zu verbessern. Durch das „Income Accelerator Program“, das Investitionen von über 1 Mrd. sfr in den nächsten zehn Jahren vorsieht, sollen bis 2030 alle 160.000 Kakaobauernfamilien in der globalen Lieferkette erreicht werden. Dieses Programm beinhaltet ein zusätzliches Entgelt für Kakaobauern, das nicht nur von Menge und Qualität der Kakaobohnen abhängt, sondern auch für Handlungsweisen gezahlt wird, die gut für die Umwelt und die Gemeinschaft sind – etwa Einschulung aller Kinder der Bauernfamilie, sinnvolle landwirtschaftliche Praktiken wie Baumschnitt und agroforstwirtschaftliche Aktivitäten für bessere Klimaresistenz, zum Beispiel die Pflanzung von Schattenbäumen.
Vollständige Rückverfolgbarkeit
Die beiden Programme von Nestlé haben durch das Lieferkettengesetz noch eine zusätzliche Aufgabe bekommen: "In den nächsten fünf Jahren möchten wir eine vollständige Rückverfolgbarkeit unserer Produkte erreichen", heißt es aus dem Lebensmittelkonzern. Damit soll die gesamte Reise der Kakaobohnen vom Ursprung – also vor allem in den Hauptanbauländern Elfenbeinküste und Ghana – bis zur Fabrik, in der die aus dem Kakao gewonnene Schokolade z.B. zu „Kitkat“, „Smarties“, „Choco Crossies“ oder „After Eight“ verarbeitet wird, verfolgt werden können. Es wird daher streng darauf geachtet, dass die Kakaobohnen einer Quelle von anderen physisch getrennt bleiben.
Die Kakaomasse aus dem „Income Accelerator Program“ erfüllt nach Angaben von Nestlé einen der höchsten Rückverfolgbarkeitsstandards. Zudem werde von Mitte 2024 an getrennte Kakaobutter für die gesamte „Kitkat“-Produktion in Europa verwendet. Eine Ausweitung auf weitere Regionen sei geplant. "Mit diesen Veränderungen werden wir intern und branchenweit für mehr Transparenz und Verantwortlichkeit in den Lieferketten sorgen und unseren Verbrauchern größeren Einblick in die Herkunft ihrer Zutaten geben", verspricht Nestlé.
Ressourcen und Einfluss
Während sich große Konzerne dank ihrer globalen Präsenz, ihrer Finanzkraft, ihres gesellschaftspolitischen Einflusses und nicht zuletzt dank ihres Personalbestandes oft schon Jahre vor Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes humanitären und umweltpolitischen Zielen stärkere Beachtung schenkten, gilt dies für mittelgroße Unternehmen, die lediglich mit bestimmten Regionen in der Welt in geschäftlicher Verbindung stehen, nur eingeschränkt. Nicht mangels gutem Willen, sondern weil es ihnen dafür an Einfluss und den nötigen Ressourcen fehlt.
Ein Problem: Je kleiner das Unternehmen, desto größer der Aufwand im Verhältnis zu Mitarbeiterzahl und Umsatz. Für einen Megakonzern wie Nestlé mit einem globalen Umsatz von umgerechnet 100 Mrd. Euro (2022) und rund 275.000 Mitarbeitern halten sich die Kosten natürlich „im überschaubaren Rahmen“. Für eine Firma, die in Deutschland etwas über der Marke von 1.000 Beschäftigten liegt und damit unter das LkSG fällt, im Ausland aber kaum Arbeitnehmer hat, sind ein bis drei Vollzeitstellen zur Erfüllung der Gesetzesvorgaben eine spürbare Belastung. Einige bereits berichtspflichtige Unternehmen haben das Problem an Lieferanten durchgereicht. Zumindest eine pauschale Übertragung von Pflichten aus dem LkSG an Zulieferer ist laut dem Bafa aber nicht zulässig.
Darüber, wie viel der mit dem LkSG verbundene Aufwand mittelgroße Unternehmen – etwa im Verhältnis zum Umsatz – kosten wird, gibt es noch keine verifizierbaren Daten; ebenso wenig darüber, inwieweit das Gesetz tatsächlich humanitäre Ziele und den Umweltschutz fördert. Ob das Lieferkettengesetz dem globalen Wohl dient oder ein weiteres Bürokratiemonster ist, wird sich erst in einigen Jahren zeigen. Im günstigsten Fall muss es nur leicht überarbeitet werden.