Das Schneeballsystem der gesetzlichen Rente
Schneeballsystem gesetzliche Rente
Von Claus Döring
Die gesetzliche Rentenversicherung ist ein Schneeballsystem. Wegen der demo-
grafischen Entwicklung droht ihm der Kollaps. Umso dringlicher ist der Aufbau einer obligatorischen dritten Säule zur privaten Altersvorsorge.
Schneeballsysteme am Kapitalmarkt sind legendär, ihre Pleiten nicht weniger. Sie funktionieren nur, solange die Zahl der Teilnehmer beständig wächst. Damit ist ihr Kollaps programmiert, selbst wenn die Geschichte viele Fälle kennt, in denen die Begründer eines solchen Systems die Zahlungsunfähigkeit durch Kreditaufnahmen zunächst verschleiern und hinauszögern konnten. Wenn dann die Gläubiger die Reißleine zogen, gab es den großen Knall und der Schwindel flog auf.
Auch in der Politik gibt es Schneeballsysteme, nur heißen sie dort anders. Zum Beispiel Umlageverfahren. Nach diesem Prinzip funktioniert in Deutschland die gesetzliche Rentenversicherung (GRV). Da sie für die meisten Angestellten eine Pflichtversicherung ist, kann auf hohe finanzielle Anreize zur Mitgliedergewinnung verzichtet werden. Das ändert aber nichts am Dilemma, dass ständig steigende Mitgliederzahlen nötig sind, um die versprochenen Auszahlungen leisten zu können. Da die demografische Entwicklung dies schon länger durchkreuzt, wäre das Schneeballsystem der GRV längst kollabiert, wenn es nicht jedes Jahr vom Steuerzahler mit immer höheren Beträgen zwangsfinanziert würde, 2022 mit 112 Mrd. Euro, also einem Viertel des für 2023 geplanten Staatshaushalts.
Das Groteske daran: In einer Zeit, in der alle Welt und allen voran die regierenden Politiker voller Inbrunst Nachhaltigkeit predigen, halten sie verbissen an einem nicht nachhaltigen Finanzierungsmodell für die Rente fest. Und sie streuen Versicherten wie Steuerzahlern weiterhin Sand in die Augen, indem sie zwar vor Wahlen mit der Einführung einer Aktienrente den Systemwechsel zu mehr Nachhaltigkeit in der Altersvorsorge versprechen, dann aber mit dem sogenannten Generationenkapital die Stabilisierung des Status quo verfolgen. Denn anders als zunächst avisiert, sind die Pläne der FDP zur Aktienrente nach schwedischem Vorbild mit wenigstens zwei Prozentpunkten des Rentenversicherungsbeitrags von 18,6% im späteren Koalitionsgeschacher der Ampel mutiert. Der Kapitalstock von zunächst 10 Mrd. Euro jährlich soll nicht aus Beiträgen, sondern aus zusätzlicher Verschuldung aufgebaut werden. Für die Rentenfinanzierung stehen damit kein zusätzliches Kapital, sondern nur Erträge zur Verfügung, limitiert auf die Renditedifferenz zwischen dem Sollzins des Bundes und den möglichen Erträgen am Aktienmarkt. Der Wirtschaftsweise Martin Werding hat ausgerechnet, dass da selbst über 15 Jahren, in denen p.a. 10 Mrd. Euro akkumuliert werden, unterm Strich nur 10 bis 15 Mrd. Euro an Erträgen bleiben, um laufende Renten zu finanzieren (vgl. BZ vom 28. März). Bei einem auf 400 Mrd. Euro wachsenden Ausgabenblock sind das nicht einmal 4%. Fazit: Als Tiger gestartet, als Bettvorleger gelandet.
Nachdem es die Koalition wegen des Widerstands von SPD und Grünen nicht schafft, die erste Säule der Altersvorsorge zu reformieren, also wenigstens einen Lebenserwartungsfaktor einzuführen sowie eine Aktienrente, die diesen Namen auch verdient, bleibt es vorerst bei kleinen Verbesserungen der zweiten Säule durch das Betriebsrentenstärkungsgesetz. Umso dringlicher wären Fortschritte bei der dritten Säule, der privaten Vorsorge. Zum Beispiel durch steuerliche Anreize, wie die Wiedereinführung der Spekulationsfrist und der Steuerfreiheit von Kapitalerträgen für die Altersvorsorge. Man darf gespannt sein, mit welchen Vorschlägen die Fokusgruppe private Altersvorsorge um die Ecke kommt. Wünschenswert wäre ein obligatorisches Produkt – vorzugsweise ein staatlicher Fonds sowie privatwirtschaftliche Alternativen – mit einem Opt-out für jene, die schon anderweitig ausreichend vorgesorgt haben. Je stärker diese dritte Säule, desto eher wird der absehbare Zerfall der ersten Säule zu verkraften sein.