Im Blickfeld:Sustainable Finance

Dem Markt für ESG-Anleihen geht die Puste aus

Der Markt für ESG-Anleihen wächst nicht mehr so rasant. Es fehlt an Projekten und an Emittenten, 2024 wird ihr Anteil am gesamten Anleihemarkt voraussichtlich stagnieren.

Dem Markt für ESG-Anleihen geht die Puste aus

ESG-Anleihen droht
die Puste auszugehen

Der Wachstumsmarkt kommt in die Jahre. Mit der Marktreife schmelzen Prämien auf dem Sekundärmarkt – zugleich fehlt es an Projekten.

Von Anna Sleegers, Frankfurt

Noch ist die Kapitalmarktunion nicht in Sichtweite, doch längst ist breiter Konsens in der EU, dass Europa beim Thema Sustainable Finance weltweit führend bleiben will. Der europäische Markt für ESG-Anleihen ist der größte weltweit und er ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen. Allein in den ersten sechs Monaten 2023 schwollen die Emissionsvolumina in dieser Anlageklasse um 18% auf 206 Mrd. Euro an, wie aus den Daten der Association for Financial Markets in Europe (AFME) hervorgeht.

Doch das ist nur die eine Seite der Medaille. Betrachtet man den europäischen Anleihemarkt insgesamt, sind ESG-Papiere auf dem Rückzug. Ihr Anteil an den Gesamtemissionen sank von mehr als 15% im Jahr 2021 auf 12,7% im ersten Halbjahr 2023. Der Finanzmarktverband AFME führt dies auf den starken Anstieg von Staats- und Anleiheemissionen ohne Nachhaltigkeitsbezug zurück.

Unter den ESG-Anleihen sind Green Bonds zur gängigen Anlageklasse geworden. Die hohen Prämien für grüne Anleihen auf dem Sekundärmarkt gehören der Vergangenheit an. Während die allgemeine Nachfrage nach Anleihen in Folge des veränderten Zinsumfelds einbrach, genossen Green Bonds eine vergleichsweise robuste Nachfrage, was insbesondere bei den Unternehmensanleihen zu einer stärkeren Korrelation zwischen grünen und herkömmlichen Anleihen führte. Im Primärmarkt sind derweil inzwischen wieder Prämien von 5 bis 10 Basispunkten zu beobachten. Diese sind nach Ansicht von Marktbeobachtern auf die in der Regel defensivere Natur von Green Bonds zurückzuführen, die in Zeiten konjunktureller Unsicherheit von den Investoren goutiert wird.

Kassenschlager Green Bonds

Die AFME konstatiert, dass die Entwicklung eines tiefen Markts für ESG-Anleihen essenziell für die Transition der europäischen Wirtschaft sei. Dazu passt, dass innerhalb der Anlageklasse der nachhaltigen Bonds der Löwenanteil auf Green Bonds entfällt. Die Emissionsvolumina in diesem Segment verzeichneten in den ersten sechs Monaten einen Anstieg von 32%. Insgesamt entfallen damit 72% des gesamten Emissionsvolumens an ESG-Anleihen in der Europäischen Union auf grüne Papiere.

Größter Emittent von Green Bonds ist laut AFME zum dritten Mal in Folge Deutschland. Die hiesigen Emissionen summieren sich bislang auf knapp 37 Mrd. Euro, wovon gut ein Viertel auf zwei grüne Bundesanleihen entfiel. 2023 debütierten Zypern und Slowenien am Markt für grüne Staatsanleihen. Bis auf Malta und Bulgarien wurden somit bereits in jedem EU-Land grüne Anleihen begeben.

EU emittiert weniger als erhofft

Hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist jedoch die Emissionstätigkeit für das Nextgen-Programm der Europäischen Union. Von den ursprünglich bis 2026 in Aussicht gestellten Green-Bond-Emissionen von bis zu 250 Mrd. Euro sind bislang nur 45 Mrd. Euro realisiert.

Erschwerend kommt hinzu, dass sich die Emissionstätigkeit im Rahmen des Europäischen Aufbauplans rückläufig entwickelt. 2022 waren immerhin noch 22,2 Mrd. Euro mit grünen Anleihen am Markt aufgenommen worden. Im bisherigen Jahresverlauf sind es lediglich 7,7 Mrd. Euro. "Der Anteil grüner Anleihen an den gesamten Nextgen-Emissionen der EU liegt derzeit bei 15% und ist damit nur halb so hoch wie ursprünglich angekündigt", schreibt Commerzbank-Analyst Stephan Kippe in einer kürzlich veröffentlichten Sektorbetrachtung.

Mangel an Projekten

Da sich die Emissionstätigkeit auf dem übrigen Markt für Staats- und SSA-Anleihen (Supranational, Sub-Sovereigns, Agency) im bisherigen Jahresverlauf ähnlich entwickelt habe wie 2022, vermutet der Kreditanalyst den Mangel an geeigneten Investitionsprojekten als Ursache dafür, dass die EU bei der Emission von Green Bonds hinter ihre Ziele zurückfällt. Für das kommende Jahr prognostiziert Kippe jedoch einen "gewissen Aufholprozess" bei den Green Bonds der EU.

Am Markt für Unternehmensanleihen sind die Aussichten für grüne Anleihen nach Ansicht des Commerzbank-Analysten dagegen mau. Es sei im kommenden Jahr kein Anstieg der Marktanteile grüner Emissionen zu erwarten, schreibt Kippe. Auch hier fehle es angesichts der durch Inflation, zunehmende regulatorische Anforderungen und höhere Zinsen gestiegenen Finanzierungskosten sowie der konjunkturell bedingten Investitionszurückhaltung der Unternehmen an tragfähigen Investitionsprojekten.

Zweifel an Social Bonds

Schwach bis unterentwickelt präsentierte sich im bisherigen Jahresverlauf auch das Segment der Social Bonds. Das gilt nicht nur im Verhältnis zum Gesamtmarkt, sondern auch in absoluten Zahlen. So ging die Emissionstätigkeit in den ersten sechs Monaten des Jahres laut AFME-Daten um 8% zurück. Seit dem Abschluss des Sure-Programms der Europäischen Kommission zur Refinanzierung von Kurzarbeit in den Mitgliedstaaten während der Coronakrise im Jahr 2021 habe es keine als sozial deklarierten Anleiheemissionen staatlicher Emittenten mehr gegeben, schreibt der Verband.

An der fehlenden Nachfrage hat dies nicht gelegen. Die Anleiheemissionen des 100 Mrd. Euro schweren Sure-Programms waren um ein Vielfaches überzeichnet. Allerdings stiegen nach dem Ende des pandemiebedingten Ausnahmezustands und angesichts der ungleichen Verteilung innerhalb der EU schnell die Zweifel an den Social-Bond-Programmen der Kommission. Sowohl der Fiskalausschuss als auch der Europäische Rechnungshof wiesen zuletzt darauf hin, dass die dank der kollektivem Deckung günstige Refinanzierung vor allem südeuropäische Mitgliedstaaten in die Verschuldung treiben kann.

Für das kommende Jahr prognostiziert Commerzbank-Analyst Kippe einen weiteren Rückgang bei der Emission von Socials Bonds. Als Grund hierfür nennt er die geplanten Kürzungen bei der Caisse d’Amortissement de la Dette Sociale (Cades), die Verbindlichkeiten der französischen Sozialversicherung verwaltet und zu den größten Social-Bond-Emittenten zählt.

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