Dem Wettbewerb eine Chance
Das haben sich Linde und Praxair viel einfacher vorgestellt. Nicht einmal mehr zwei Monate sind es bis zum Tag X: Am 24. Oktober muss die Fusion der beiden Industriegasekonzerne perfekt sein. Sonst scheitert das deutsch-amerikanische Projekt kurz vor dem Ziel doch noch. Nach wie vor fehlt die Freigabe der Wettbewerbsaufsicht in sechs Ländern, davon in vier, die für einen wirtschaftlichen Erfolg entscheidend sind: in den USA, in China, Indien und Südkorea. Linde hat publik gemacht, dass sich die Free Trade Commission in den USA querstellt und das Angebot eines Teilverkaufs des Geschäfts dort für unzureichend hält. Warum es in den drei asiatischen Staaten so lange dauert, ist unklar.Die Haudegen an der Spitze von Linde, Aufsichtsratschef Wolfgang Reitzle und der für die Fusion reaktivierte Vorstandsvorsitzende Aldo Belloni, knüpften ihre Erwartungen an Erfahrungen – und täuschten sich. 1999 hatte Linde den schwedischen Konkurrenten Aga übernommen, 2006 BOC in Großbritannien. Beide Akquisitionen hatte die EU-Kommission zügig genehmigt – nun erst nach einer vertieften Prüfung und mit strengen Auflagen. Air Liquide durfte 2016 Airgas kaufen und als Weltmarktführer an Linde vorbeiziehen. Der französische Konzern musste sich zwar in den USA von Unternehmensteilen trennen, doch letztlich ging der Deal durch. Anzunehmen, dass dies auch Linde und Praxair ohne größere Schwierigkeiten und Einschnitte gelingen könnte, erwies sich als Trugschluss des Managements.Die Erfahrungen aus der Vergangenheit lassen sich nicht einfach fortschreiben, denn mit jeder weiteren Konzentration verringert sich die Zahl der global präsenten Industriegaseanbieter signifikant. Nach einer Fusion von Linde und Praxair beherrschte ein Oligopol mit nur noch drei Konzernen den Markt. Und der dritte, Air Products in den USA, erzielt gerade einmal etwas mehr als ein Viertel des addierten Umsatzes der zwei Wettbewerber, die gemeinsam an die Spitze streben.Das Oligopol wirkt zum Wohl der Unternehmen und Aktionäre: Die Umsatzrenditen im Gasegeschäft liegen um die 30 % – bezogen auf das Ergebnis vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Davon können viele andere Industriebranchen nur träumen. Der Markt ist reif; aus eigener Kraft zu wachsen ist ein schier aussichtsloses Unterfangen. Deshalb strebten und streben die Anbieter nach Zusammenschlüssen, um Synergien zu heben und ihre beachtliche Profitabilität immer weiter zu steigern.Die Rechnung ist einfach: Wo es Gewinner gibt, gibt es auch Verlierer. Lieferanten, Kunden und letztlich alle Endverbraucher zahlen den Preis für die hohen Renditen – Synergien hin oder her. Deshalb ist es richtig, dass die Wettbewerbsbehörden ein Stoppschild aufstellen, die Bedenken im Markt ernst nehmen und genau hinschauen. Sollte der Zusammenschluss von Linde und Praxair an Auflagen scheitern, die von vornherein einen wirtschaftlichen Erfolg verhinderten, wäre es für beide Unternehmen kein Beinbruch. Gewiss, Zeit, Geld und Nerven wären zwei Jahre lange vergeblich in den Fusionsversuch investiert worden und für Reitzles großes Ego wäre es eine schmerzliche Niederlage. Doch es wäre ein klares Signal: In diesem Markt gibt es keine Chance mehr für einen globalen Zusammenschluss. Bis hierher und nicht weiter.Stellt sich noch die Frage, ob ein entscheidendes Veto der Federal Trade Commission (FTC) in den USA politisch motiviert sein könnte. Stört sich Präsident Donald Trump mit seiner America-first-Manie daran, dass der gemeinsame Konzern Linde plc hieße, sein Sitz in Dublin und die Hauptverwaltung in England wäre? Abgesehen vom Aspekt der Unabhängigkeit der FTC wäre Trump schlecht beraten, so zu denken und Einfluss zu nehmen. Das fusionierte Unternehmen wäre trotz des deutschen Namens früher oder etwas später amerikanisch geprägt. Der CEO und der CFO von Praxair, die diese Funktionen behielten, lassen mit selbstbewussten und starken Worten keinen Zweifel daran.Apropos Trump: Protektionismus spielt für Industriegase keine Rolle, denn es handelt sich um lokales Geschäft, etwa mit Luftzerlegungsanlagen in den Werken von Kunden. Und doch gibt es einen übergeordneten Zusammenhang beider Themen: Gerade in der aktuellen Phase, in der Trump mit Strafzöllen vor allem China und auch die EU provoziert und die Wirtschaft zu seinem Spielball macht, müssen Kartellbehörden dem Wettbewerb eine echte Chance bewahren – unabhängig von der Politik. Eine strenge Aufsicht braucht es besonders für ein Oligopol wie im Fall von Linde und Praxair.—–Von Joachim HerrGerade angesichts des um sich greifenden Protektionismus müssen Kartellbehörden streng sein. Besonders im Fall von Linde und Praxair.—–