LeitartikelFinanzmärkte

Den Märkten geliefert

Die EZB hat den Märkten den erwarteten Zinsschritt geliefert. Im Juli könnte es schon wieder so weit sein.

Den Märkten geliefert

EZB-Zinsentscheid

Den Märkten geliefert

Die EZB hat den Märkten den erwarteten Zinsschritt geliefert. Im Juli könnte es schon wieder so weit sein.

Von Kai Johannsen

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat erstmals seit 2019 wieder die Leitzinsen gesenkt und damit das geliefert, was an den Märkten praktisch unisono erwartet worden war. Die europäischen Währungshüter hatten die Zinswende nach unten gut vorbereitet, denn immer wieder kamen klare Signale von den EZB-Verantwortlichen, dass man im Juni einen Zinsschritt nach unten vornehmen wird. Alles andere – ein Stillhalten etwa – wäre gar nicht mehr denkbar gewesen, eine Zinserhöhung wäre wohl einem kommunikativen Desaster gleichgekommen.

Nach den Notenbanken von Kanada, Schweden und der Schweiz ist nun auch die EZB im Zinssenkungsmodus angekommen – noch vor der US-Notenbank. Die Währungsverantwortlichen senden Marktteilakteuren damit auch ein klares Signal. Natürlich halten sich Notenbanker dabei immer alle Optionen offen und legen sich nicht kategorisch auf einen Zinspfad für einen vorab festgelegten Zeitraum fest. Denn das können sie sich gar nicht leisten, ihre Handlungsfähigkeit würden sie praktisch aufgeben, ihre Glaubwürdigkeit gleich mit und ihre Reaktions- bzw. Anpassungsfähigkeit auf ein sich veränderndes Umfeld an Märkten und der Realwirtschaft zumindest arg infrage stellen bzw. sich in dieser Hinsicht selbst die Hände binden. Doch wie geht es nach diesem Signal weiter in Sachen Zinspolitik, was sind die wahrscheinlichsten Szenarien?

Erstes Szenario: Kommt es nicht zu einem Inflationsschub nach oben und kommt es auch nicht zu einer Eskalation an den geopolitischen Krisenherden, ist damit zu rechnen, dass die EZB-Chefin Christine Lagarde relativ schnell nachlegen wird, um die den Märkten nun kommunizierte Botschaft zu untermauern. Damit könnte es bereits im Juli so weit sein, dass der zweite Zinsschritt folgt. Die Zinsfantasie wird damit an den Aktienmärkten erhalten bleiben, Dax & Co sind dann weiterhin gut unterstützt, und der deutsche Leitindex dürfte sich weiter in Richtung der 20.000 Punkte vorarbeiten. Den Bundrenditen steht somit wohl keine erhebliche Klettertour bevor – im Gegenteil. Und der Euro dürfte zinsbedingt tendenziell auf der schwächeren Seite sein.

Zweites Szenario: Die EZB wartet die Auswirkungen des aktuellen Zinsschritts ab und hält die Zinsfantasie an den Märkten verbal am Leben. Das kann sie tun, indem sie kommunikativ in den nächsten Wochen immer wieder andeutet, dass der nächste Schritt nicht nach oben geht, sie nur noch ein wenig abwartet, um genügend Indikationen dafür zu haben, dass die Inflation sich weiter in Richtung des EZB-Zielwerts von um die 2% bewegt und sich die EZB somit eines nachhaltigen Erfolges in der Inflationsbekämpfung sicher sein kann. Und mal ernsthaft: An den Märkten rechnet doch keiner wirklich damit, dass man nochmal Inflationsraten von 10% sieht. Dann wäre der zweite Zinsschritt nach unten nicht für Juli auf der Agenda, sondern nach der Sommerpause, das heißt gleich im September. Genügend Zeit also für die EZB, um die neue Basis der makroökonomischen Daten abzuwarten. Denn im September stehen bei den europäischen Währungshütern auch die nächsten Projektionen zu Inflation und Wachstum an. Weisen diese dann in die richtige Richtung, kommt ein Zinsschritt im Gepäck für Lagarde sicher infrage. Auch in diesem Szenario dürften Aktien über den Sommer hinweg gut unterstützt sein, die Bundrenditen eher auf der Unterseite zu finden sein, und der Euro dürfte sich nicht gerade enorm befestigen. Bleibt nur noch, beide Szenarien mit einer Wahrscheinlichkeit zu versehen. Einen Tag nach der Zinssenkung und ohne neue Daten zu Inflation und Wachstum kann das wohl nur lauten: Aus heutiger Sicht heißt es fifty-fifty, und die Daten werden zeigen, in welche Richtung es sich im Juni bewegen wird. Da bleibt Märkten und Analysten in den nächsten Wochen genügend Raum für Zinsspekulationen und Anpassungen derselben.

Und was macht beiden Szenarien einen Strich durch die Rechnung? Die Inflation. Und wenn man sich die Entwicklung der Rohstoffpreise anguckt, die durch die Bank weg allesamt zulegen, dann kann die Teuerung zumindest ein Stück weit nach oben gehen – aber sicher nicht in Richtung von 10%. Dann verschiebt sich der zweite EZB-Zinsschritt auf Dezember.

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