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Der Ärger der Kleinparteien

Der Bundestag hat bereits zugestimmt, der Bundesrat will Anfang Juli folgen: Eine Wahlrechtsreform könnte dazu führen, dass es bei Europawahlen bald wieder eine Sperrklausel gibt. Die kleinen Parteien sind verärgert.

Der Ärger der Kleinparteien

NOTIERT IN BERLIN

Der Ärger der Kleinparteien

Von Andreas Heitker

Knapp ein Jahr ist es noch bis zur nächsten Europawahl. Für die deutschen Klein- und Kleinstparteien, die bei einer Bundes- oder Landtagswahl üblicherweise keine Chancen haben, über die 5-%-Hürde zu springen, wird dies die vielleicht letzte Möglichkeit sein, bei einem wichtigen Urnengang noch einmal wirklich mitzumischen und vielleicht auch Mandate zu sammeln. Denn bei den EU-Wahlen gibt es aktuell keine Sperrklauseln in Deutschland, nachdem das Bundesverfassungsgericht einer solchen Regelung 2011 und 2014 gleich zweimal einen Riegel vorgeschoben hat. Deshalb sitzen aktuell auch insgesamt neun deutsche Abgeordnete der Piratenpartei, der Tierschutzpartei, der ÖDP, von Volt, der Familien-Partei, von „Die Partei“ sowie der Freien Wähler im EU-Parlament. Insgesamt hatten diese Parteien bei der letzten Europawahl immerhin 9% der Stimmen auf sich vereinigt.

Trotz der Urteile aus Karlsruhe dürfte eine solche Vielfalt mittelfristig kaum noch möglich sein. Denn der deutsche Gesetzgeber ist gerade dabei, Änderungen im europäischen Direktwahlakt zu ratifizieren, der dann Sperrklauseln zwischen 2% und 5% vorschreiben würde. Der Bundestag hat dem kürzlich schon mit Zweidrittelmehrheit zugestimmt. Der Bundesrat, der ebenfalls keine Bedenken angemeldet hat, will Anfang Juli grünes Licht geben.

Auf den ersten Blick setzt die Bundesregierung damit nur Regelungen um, die bereits 2018 auf europäischer Ebene von allen 27 EU-Staaten beschlossen wurden. Auf den zweiten Blick sieht die Sache schon wieder anders aus. Denn diese Wahlrechtsreform hätte lediglich Auswirkungen in Deutschland und theoretisch auch in Spanien. Sie würde nämlich nur in Gebieten gelten, in denen mindestens 35 Abgeordnete gewählt werden. In anderen großen EU-Ländern wie Italien oder Frankreich würden die neuen Regeln nicht greifen, weil die ihr Staatsgebiet in mehrere Wahlkreise aufgeteilt haben.

Mehrere deutsche Kleinparteien werfen jetzt den großen Parteien – insbesondere der bis 2021 in Berlin amtierenden großen Koalition – vor, Urheber dieser Änderungen des Direktwahlaktes zu sein und diese in Brüssel initiiert und durchgesetzt zu haben – nur mit dem Ziel, die kleinen Konkurrenten aus dem Europaparlament zu drängen. Die anderen EU-Staaten hätten sich dafür einspannen lassen, weil sie von der Reform ja nicht betroffen seien.

Die deutsche Demokratie werde eingeschränkt, kritisiert Damian Boeselager, der 2019 für Volt den Sprung ins EU-Parlament geschafft hatte. Dabei gebe es inhaltlich für eine Sperrklausel bei Europawahlen keinerlei Argumente. So sieht dies auch Anne Herpertz, Vorsitzende der Piraten-Partei, die von „Machtmissbrauch“ spricht. Sie verweist darauf, dass die Gefahr der Zersplitterung für das EU-Parlament nicht gelte. Heute seien dort rund 200 Parteien aus 27 Ländern vertreten, ohne dass dies die Arbeitsfähigkeit des Hauses einschränke. Die ÖDP-Europaabgeordnete Manuela Ripa klagt, die großen Parteien ignorierten den Wählerwillen, um sich selbst mehr Stimmen einzuverleiben.

Neben Deutschland müssen auch Spanien und Zypern die neuen Regeln noch ratifizieren, die dann erstmals zur Europawahl 2029 zur Anwendung kommen könnten. So ganz wollen die kleinen Parteien die künftigen Beschränkungen aber noch nicht akzeptieren und erwägen bereits eine Klage.