LEITARTIKEL

Der alte Freund des DFB

Träumen wir einmal: Sechs Tage vor Heiligabend gewinnt Deutschland das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Gegner ist Gastgeber Katar. Überraschend bringt es der Wüstenstaat so weit. Dank eines mit Millionen Scheichdollar, vielleicht sogar...

Der alte Freund des DFB

Träumen wir einmal: Sechs Tage vor Heiligabend gewinnt Deutschland das Finale der Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Gegner ist Gastgeber Katar. Überraschend bringt es der Wüstenstaat so weit. Dank eines mit Millionen Scheichdollar, vielleicht sogar legal, zusammengekauften und eingebürgerten Teams aus europäischen, südamerikanischen und afrikanischen Spielern – und ohne Schiedsrichter zu bestechen. Bemerkenswertes Detail: Deutschland gewinnt das Turnier zum ersten Mal nicht in Trikots und Hosen von Adidas. Auf der Brust der Weltmeister prangt der Swoosh, das Logo von Nike. Im Siegestaumel dürften das vor allem die Mitarbeiter von Adidas bedauern, dazu einige Patrioten und Nostalgiker, deren Augen funkeln, wenn sie Namen wie Turek, Posipal oder Morlock hören.Seit der Ära der Helden von Bern, die 1954 Ungarn niederkämpften, ist die Geschichte des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) eng mit der Historie des Unternehmens, seinem Gründer Adi Dassler und dessen Sohn Horst verbunden. Bis heute rüstet die Marke mit den drei Streifen die deutschen Kicker aus. Der aktuelle Vertrag von Adidas und dem DFB läuft Ende 2018 aus.Die Gespräche über eine Verlängerung liegen nun auf Eis, denn den größten nationalen Fußballverband der Welt erschüttert der Vorwurf, die WM 2006 sei mit Schmiergeld nach Deutschland geholt worden. Beweise gibt es nicht, aber ein dubioses Darlehen des früheren Adidas-Vorstandschefs und Großaktionärs Robert Louis-Dreyfus, viele offene Fragen und die eskalierende Fehde des früheren DFB-Präsidenten Theo Zwanziger gegen seinen Nachfolger Wolfgang Niersbach.Der dunkle Schatten, den der Verdacht schwarzer Kassen wirft, könnte auch die Entscheidung über den künftigen Ausrüster beeinflussen. Angenommen der DFB muss sich zu einem personellen Neuanfang und grundlegenden Reformen durchringen: Wäre es nicht ein symbolträchtiges Signal, das Nationalteam in Trikots und Hosen eines anderen Herstellers auf den Platz zu schicken? Mit Blick auf Finanzkraft und weltweites Vertriebsnetz kommt dafür nur Nike in Frage. Schon vor neun Jahren hatte der Branchenprimus aus den USA um die Gunst des DFB gebuhlt und mit über 50 Mill. Euro pro Jahr mehr als doppelt so viel geboten, wie Adidas aktuell zahlt. Doch ein Schiedsgericht erinnerte den damaligen DFB-Obersten Zwanziger daran, dass die zuvor gegebene Zusage an den alten Freund Adidas bindend war.Die Börse beeindruckt die Unsicherheit, wie es über das Jahr 2018 hinaus mit dem DFB weitergeht, überhaupt nicht. In diesem Jahr hat der Aktienkurs von Adidas mehr als 40 % zugelegt und nähert sich seit Ende August sogar langsam seinem Anfang 2014 erreichten Höchststand. Nach dem schwachen vergangenen Jahr läuft das Geschäft wieder ganz gut. Auch das Beben im Weltfußballverband Fifa lässt die Aktionäre kalt. Dabei ist die Fifa ebenso ein enger Partner von Adidas. Aktienanalysten beschäftigen sich erst gar nicht mit dem Thema Sportorganisationen. Dafür gibt es einen guten Grund. Rein wirtschaftlich gesehen kann das Tohuwabohu im DFB und der Fifa für Adidas kaum etwas anrichten. Ein klarer Beleg: Vor und nach dem WM-Sieg 2014 in Brasilien verkaufte das Unternehmen ungefähr 3 Millionen Trikots der Nationalmannschaft. Selbst diese Rekordmenge machte grob geschätzt nicht einmal 1 % des Konzernjahresumsatzes aus.Bedeutender ist das Ausrüstergeschäft mit großen Fußballvereinen, die viel häufiger im Stadion und vor dem Fernseher ihre Fans mitfiebern lassen. In den drei Streifen von Adidas spielen zum Beispiel Manchester United, der FC Bayern, Real Madrid und Juventus Turin. Länderteams stehen dagegen nur alle zwei Jahre im Mittelpunkt, während einer WM oder eines Kontinentalturniers wie der Europameisterschaft. Zudem wirken sich auf die Vorlieben von Konsumenten zwielichtige Verbandsfunktionäre im Hintergrund ebenso wenig aus wie an der Dopingwahrheit zerschellte Sportidole.Blicken wir noch einmal ins Jahr 2022: Die Fifa ist hoffentlich von Grund auf reformiert, vielleicht auch der DFB – je nachdem, ob sich aus den nebulösen Indizien, vielfältigen Spekulationen und widersprüchlichen Aussagen mehr als ein vager Verdacht schält. Ach, träumen wir weiter! Deutschland wird in Katar Weltmeister. Dass Adidas Ausrüster des DFB bleibt, ist von all dem am wahrscheinlichsten. Vieles im Sport entscheiden Emotionen und Traditionen.——–Von Joachim HerrWenn Deutschlands beste Kicker nach 2018 nicht mehr in den drei Streifen spielen würden, wäre das für Adidas ein großer emotionaler Verlust, kein wirtschaftlicher.——-