Der Gewinn der Europa League ist ein „Gamechanger“
Von Stefan Paravicini, Berlin
„Wir haben die Eintracht im Endspiel gesehen“, sangen die Fans von Eintracht Frankfurt am Mittwoch in Vorfreude auf das Finale der Europa League. Wenige Stunden später feierten sie den Sieg ihres Teams nach einem ungemein spannenden Endspiel, das erst im Elfmeterstechen entschieden wurde. Nun können die Fans bald eine neue Strophe in die Vereinshymne aufnehmen. Denn der Sieger des zweithöchsten europäischen Wettbewerbs ist seit der Saison 2014/15 automatisch für die Champions League qualifiziert.
„Schwarz, weiß, wie Schnee, das ist die SGE“ – für die Eintracht wäre die erste Teilnahme in der Königsklasse des europäischen Clubfußballs Gold wert. Denn die seit der Spielzeit 1992/93 ausgetragene Champions League hat nicht mehr viel mit dem Vorgänger, dem Europapokal der Landesmeister, zu tun, in dem die Eintracht 1960 das Finale gegen Real Madrid erreichte. Für die Teilnehmer zahlt sich das aus: Der europäische Fußballverband Uefa wird nach Einschätzung des Informationsdienstes Football Benchmark in der laufenden Spielzeit mehr als 2 Mrd. Euro an die Teilnehmer der Champions League ausschütten, während die Vereine im zweithöchsten europäischen Wettbewerb etwas mehr als 450 Mill. Euro einstreichen (siehe Grafik). An die Teilnehmer der Conference League, die von der Uefa in dieser Spielzeit zum ersten Mal ausgetragen wird, fließen nach Einschätzung von Football Benchmark 235 Mill. Euro.
„Jeder wird sagen, ohne zu fragen“ – wie es im Fan-Lied heißt –, dass es für die Eintracht in Sevilla am Mittwoch Abend um mehr ging als um den 15-Kilogramm-Wanderpokal, den die Uefa 1972 für den Uefa-Cup, den Vorgänger der Europa League, gestiftet hat. „Die Antwort ist sehr einfach, es wäre ein Gamechanger“, sagt auch Antonio Di Cianni, Head of Football von Football Benchmark, schon im Vorfeld des Finales über die – nunmehr tatsächlich erreichte – Qualifikation für die Champions League. Denn mit der Präsenz im wichtigsten Clubwettbewerb weltweit steigt nicht nur die sportliche Relevanz, sondern auch die wirtschaftliche Potenz des Clubs kräftig.
„Der eine liebt sein Mädchen und der andere liebt den Sport“, heißt es in der Fankurve der Eintracht. Die Königsklasse stärkt nach Einschätzung von Fußball-Experte Di Cianni aber nicht nur die Erlösbasis eines Vereins, sondern erhöht auch den Wert einzelner Spieler. „Ein Tor in der Champions League ist etwas ganz anderes als ein Tor in der nationalen Liga“, gibt Di Cianni zu bedenken. Auch für die Marke Eintracht Frankfurt wird die ganz große Fußballbühne noch mehr Aufmerksamkeit schaffen. „Eine Teilnahme in der Champions League ist auch ein Gamechanger für den Enterprise Value“, sagt Di Cianni, der mit Football Benchmark gerade an der zum siebten Mal erscheinenden Rangliste der 32 wertvollsten europäischen Fußballclubs arbeitet, für die sich die Eintracht in diesem Jahr zum ersten Mal qualifiziert haben dürfte.
„Ob Rom, Mailand oder London, Moskau, Wien oder Athen“, singt der reiselustige Anhang der Frankfurter bei den Ausfahrten nach Europa. Wäre die Eintracht im Finale in Sevilla an den Glasgow Rangers gescheitert (und sie wäre es in der Tat, hätte sie Torwart Kevin Trapp nicht mit einem Sensationsreflex in der 118. Minute im Spiel gehalten), die seit dem Start der Champions League bereits elf Mal in der Königsklasse mit dabei waren, mittlerweile aber seit mehr als zehn Jahre auf eine Rückkehr in den höchsten europäischen Clubwettbewerb warten, dann wäre es für Frankfurt in den kommenden Jahren freilich nicht einfacher geworden, in die Elite-Liga aufzusteigen. „Es wird immer schwieriger, das ist die Realität“, sagt Fußball-Experte Di Cianni zu den Chancen von Clubs aus der zweiten Reihe, in die Champions League vorzustoßen.
„Eintracht Frankfurt international“ müssen die Fans trotzdem nicht aus ihrer Hitliste streichen: Mit vier festen Startplätzen (und nun eben der Eintracht als fünftem deutschen Champions-League-Teilnehmer) zählt die Bundesliga zu den Ligen, die den besten Zugang zur Königsklasse haben. Dauermeister Bayern München hat zwar ein Abo auf den wichtigsten Clubwettbewerb. Im Vergleich mit anderen Spitzenligen ist die Durchlässigkeit zu den europäischen Startplätzen für kleinere Vereine aber immer noch verhältnismäßig groß.
Wer den „Eintracht-Frankfurt-Walzer“ demnächst auch in der Champions League tanzen will, findet die Vorbilder im Ausland: So setzte sich Villareal erst vor einem Jahr im Finale der Europa League gegen das favorisierte Manchester United durch und qualifizierte sich mit diesem Erfolg – allerdings zum wiederholten Mal – für die Champions League, in der es die Spanier in dieser Saison bis ins Halbfinale schafften, nachdem sie Bayern München aus dem Wettbewerb geworfen hatten. Einen unerwarteten Aufstieg in die Champions League legte zuletzt auch der italienische Verein Atalanta Bergamo hin, der bei der ersten Teilnahme 2019/20 im Viertelfinale knapp an Paris St. Germain scheiterte und sich in den vergangenen zwei Jahren erneut qualifizierte.
Eines der größten Fußballmärchen der vergangenen Jahre schrieb Leicester City, das 2016 kurz nach dem Aufstieg die Spitze der Premier League stürmte und in der nächsten Spielzeit in der Champions League für Furore sorgte. Die Königsklasse hat Leicester seither nicht mehr erreicht, von der erfolgreichen Kampagne 2016/17 profitiert der Verein aber bis heute. „Sie müssen allerdings vorsichtig sein, weil mehr Erlöse oft höhere Ausgaben nach sich ziehen“, sagt Di Cianni zu den Risiken, die mit dem Aufstieg in die Fußball-Elite verbunden sind. Die Eintracht wird trotzdem versuchen, in der Champions League so gut und schön wie einst mit Jürgen Grabowski zu spielen.