Der Graben zwischen Ökonomie und Juristerei
Negativzinsen
Mit den Augen der Ökonomie
Von Jan Schrader
Der Austausch zwischen Ökonomen und Juristen ist nicht leicht: So wie verschiedene Völker und Kulturen sprechen sie unterschiedliche Sprachen, denken in unterschiedlichen Kategorien und neigen dazu, einander zu missverstehen. Ein Verständnis für die jeweils andere Sicht auf die Welt ist aber essenziell. Das zeigt der aktuelle Streit über Negativzinsen auf Bankeinlagen.
In der Wirtschaftslehre ist die Sache klar: Als Banken dafür bezahlen mussten, wenn sie bei der EZB Geld hinterlegten, waren überschüssige Bankeinlagen für die Kreditinstitute eine Last. Da war es betriebswirtschaftlich naheliegend, von Kunden ein "Verwahrentgelt" zu verlangen, und es erschien auch volkswirtschaftlich sinnvoll, das Geld auf diese Weise in produktivere Kanäle zu lotsen. Die zeitweilige Praxis der Negativzinsen auf Bankeinlagen war aus wirtschaftlicher Sicht also richtig.
Juristen legen andere Maßstäbe an. Hier zählt die konkrete Vertragsgestaltung im Lichte bestehender Gesetze. Im Streit zwischen der Commerzbank und der Verbraucherzentrale Hamburg am Oberlandesgericht Frankfurt am Main ging es daher vor allem um die Frage, ob die Vereinbarung zum Verwahrentgelt eine Preishauptabrede darstellt oder als Bestandteil der allgemeinen Geschäftsbedingungen gedacht werden muss. Von der Antwort hängt wiederum die weitere Bewertung ab.
Ein Verständnis für beide Sichtweisen ist hier wie dort essenziell. Zum einen für Banken, die das wirtschaftliche Denken verkörpern. Je besser ihr Gespür für juristische Belange, desto eher vermeiden sie, dass Gerichte ihre betriebswirtschaftlich wohl durchdachten Strategien durchkreuzen. Leider wahr: Ohne juristisches Know-how könnten Banken kaum überleben. Aber auch mit juristischer Expertise ist es schwer, künftige Urteile zu antizipieren.
Umgekehrt sollten auch Gerichte das Gespür für ökonomische Notwendigkeiten nicht verlieren. Die "Verwahrentgelte" der Banken dienten einem legitimen Zweck: Wo Kosten entstehen, dürfen Banken diese auch an Kunden weiterreichen. Eine maßvolle Rechtsprechung setzt Verständnis dafür voraus.
Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat nicht immer überzeugt. Im Prämiensparstreit verwarf er eine an sich sinnvolle Methodik zur Anpassung von Zinsen in uralten Verträgen, im AGB-Streit bescherte er der Kreditwirtschaft ein ungemein aufwendiges Verfahren für Preiserhöhungen. Würdigt das hohe Gericht ökonomische Grundsätze genug? Mit dem absehbaren Verfahren zu Negativzinsen könnte diese Frage erneut auftauchen.