Der Hype birgt hohe Risiken
Von Alex Wehnert, Frankfurt
Twitter-Gründer Jack Dorsey, „Star Trek“-Darsteller William Shatner und Rapper Jay-Z bilden auf den ersten Blick ein äußerst heterogenes Trio, und doch haben sie eines gemein: Alle drei haben beim Hype um die Non-Fungible Token (NFT) mitgemischt. Dabei handelt es sich um kryptografische Wertmarken, die auf sogenannten Smart Contracts basieren, also Computerprotokollen, die Verträge abbilden sowie einmalige Einträge auf bestimmten Blockchains erstellen können. Genau solche Einträge stellen NFT dar – diese sind im Gegensatz zu Bitcoin und anderen Cyberdevisen also nicht replizierbar, jeder NFT ist ein Unikat. Ihr Sinn besteht darin, legale Eigentumsrechte an virtuellen Gütern, darunter digitale Kunst oder Medien, zu beurkunden und handelbar zu machen.
Auf verschiedenen Plattformen, zum Beispiel Opensea oder Rarible, können Nutzer solche virtuellen Güter gegen Gebühren hochladen, wobei dann eine dazugehörige Signatur erstellt wird. Diese Signatur wiederum, nicht aber das Werk, das sie repräsentiert, wird dann über die entsprechende Plattform und die von ihr genutzte Blockchain handelbar. So hat Dorsey im März seinen ersten Tweet in NFT-Form verkauft, Jay-Z versteigerte im Juni ein auf dem Plattencover seines vor 25 Jahren erschienenen Debütalbums basierendes digitales Kunstwerk. Shatner ist indes nicht nur in seiner Rolle als Captain Kirk in Galaxien vorgedrungen, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat, sondern auch am NFT-Markt ein Pionier: Er auktionierte bereits im Juli 2020, als der Hype um die Token noch in den Kinderschuhen steckte, zahlreiche persönliche Erinnerungsstücke in digitaler Form.
Von Prominenten begebene NFT erzielen häufig enorme Preise; der Verkauf von Dorseys erstem Tweet brachte dem Twitter-Gründer über 2,9 Mill. Dollar ein. Den Preisrekord hält indes die Collage „Everydays: the First 5000 Days“ des Künstlers Michael Winkelmann, die aus 5000 digitalen Bildern besteht – den zugehörigen NFT sicherte sich ein Programmierer aus Singapur bei einer Christie’s-Auktion im März für 69,3 Mill. Dollar.
Gewaltiger Absatz-Boom
Damit steht das Werk exemplarisch für den Boom am Gesamtmarkt im laufenden Jahr. Laut dem Plattformbetreiber Dappradar ist das Absatzvolumen von NFT im zweiten Quartal 2021 auf den Rekordwert von 1,24 Mrd. Dollar gestiegen – im vergleichbaren Vorjahreszeitraum hatte es noch bei 6,49 Mill. Dollar gelegen. Der Großteil der Verkäufe findet über das Ethereum-Netzwerk statt, da die zur führenden Digitalwährung Bitcoin gehörige Blockchain nicht mit Smart Contracts beschrieben werden kann und andere Vertreter wie Wax oder Binance Smart Chain wesentlich kleiner sind. Vom Hype um NFT dürfte daher nach Einschätzung von Marktstrategen auch die Kryptowährung Ether profitieren, in der Transaktionen auf Ethereum abgewickelt werden.
Nach dem gewaltigen Absatzboom stellt sich indes die Frage, wie nachhaltig der NFT-Trend ist. Befürworter sehen in den Token ein Mittel zur Digitalisierung und Demokratisierung des Kunstmarkts. So stellten sie für Künstler eine Möglichkeit dar, sich über Online-Plattformen zu vermarkten, unabhängiger zu sein und ein neues Publikum zu erreichen. Zudem garantierten NFT eine höhere Sicherheit im Kunsthandel, da sie nicht gefälscht werden könnten.
Dass die klassischen Auktionshäuser wie Christie’s und Sotheby’s inzwischen ebenfalls solche Token versteigern, zeigt laut Enthusiasten die Relevanz der Wertmarken – zumal es inzwischen auch Galerien gibt, die ausschließlich Werke mit zugehörigen NFT vertreiben. In der „Superchief Gallery“ in New York etwa können Besucher mit dem Smartphone QR-Codes scannen und den Token zum jeweiligen Werk direkt erwerben.
Käufer müssen sich aber darüber bewusst sein, dass sie mit dem Erwerb von NFT lediglich dazu berechtigt sind, mit dem Besitz des jeweiligen Werks zu prahlen. Urheber- oder Verwertungsrechte stehen ihnen dadurch nicht zu.
Genau an diesem Punkt setzen Kritiker an, aus deren Sicht die Token für den Abnehmer keinen realen Mehrwert bieten. Tatsächlich stellen Auktionen wie die der persönlichen Erinnerungsstücke Shatners eher eine Seltenheit dar. Stattdessen werden häufig NFT zu Bildern oder Animationen versteigert, die auf Social-Media-Plattformen kursieren. Während also der NFT einzigartig ist, wird das zugehörige Werk oft millionenfach kopiert. Sicher, auch am physischen Kunstmarkt werden Kopien bekannter Gemälde gehandelt, allerdings in nicht ganz so extremer Frequenz hergestellt wie im digitalen Bereich. Zudem bestehen dabei deutlich spürbare Unterschiede zum Originalwerk, nicht zuletzt in der Qualität, die bei der tausendfachen Verbreitung bestimmter Memes einfach nicht vorhanden sind.
Unter anderem deshalb warnen zahlreiche Beobachter vor einer gewaltigen Preisblase bei NFT – jene Investoren, die solche digitalen Wertmarken als reine Spekulationsobjekte betrachten, dürften sich hohen Verlustrisiken aussetzen. Ist der physische Kunstmarkt schon äußerst volatil, trifft das auf den digitalen noch wesentlich stärker zu. So soll die Nachfrage nach NFT zwischen Mai und Juni um 90% eingebrochen sein. Solche Rücksetzer wirken sich natürlich auch auf die Preise der Token aus, die schließlich nur das wert sind, was Käufer für sie zu zahlen bereit sind. Und bei Wertverlusten zeigt sich auch der wohl gravierendste Unterschied zwischen realen und digitalen Artefakten. Denn wenn der Preis physischer Kunstwerke fällt, kann der Besitzer sie immer noch aufgrund seines persönlichen Bezugs zu ihnen genießen.