Der lange Marsch zur Schnapspraline
Notiert in Schanghai
Mut zur Schnapspraline
Von Norbert Hellmann
Die meisten Menschen würden einer vom Coffee Shop ihres Vertrauens neu angebotenen Latte-Kreation mit der Geschmacksnote Sojasauce wohl eher reserviert gegenüberstehen. Das beweist zunächst einmal nur, dass sie keine Chinesen sind. Im Reich der Mitte hat die Billig-Kaffeehauskette Luckin Coffee ein neues Produkt mit der Bezeichnung Jiangxiang Latte lanciert, von dem in den ersten Tagen gleich einmal 6 Millionen Becher verkauft wurden.
Jiangxiang bedeutet so viel wie Sojasaucenduft. Damit hat es eine besondere Bewandtnis. Die Bezeichnung gilt nämlich auch als Geschmackskennung für das unverwechselbare Aroma von Chinas bekanntester Edelspirituose Moutai. Sie wird gemäß einem jahrhundertealten Verfahren in den Bergen der Provinz Guizhou hergestellt und gereift und gilt als Chinas Nationalschnaps für die ganz besonderen Anlässe. Diese reichen von Staatsbanketts über Familienfeiern bis zur besonderen Gabe an den Hausherrn, wenn man etwa um die Hand seiner Tochter anhält.
Kornbrände in jeder Preisklasse
Moutai gehört zur Familie der als Baijiu bezeichneten chinesischen Kornbrände, die es in jeder Preisklasse gibt, ragt aber als hochdekoriertes Luxusprodukt heraus. Das hat seinen Preis. Derzeit liegt man bei umgerechnet 200 Euro für die Kultstatus genießende Halbliter-Steingutflasche. Da es sich um ein notorisch knappes Gut handelt, muss man meist auf Schwarzmarktofferten umschwenken und landet dann schnell bei doppelt so hohen Preisen. Anders als bei spanischem Brandy kommt in China also niemand so schnell auf die Idee, den Morgenkaffee mit einem kraftspendenden Schlückchen Moutai anzureichern. Entsprechend groß ist das öffentliche Interesse am mit Moutai versetzten Luckin Jiangxiang.
Hinter dem Ganzen steht eine neue Marketing-Strategie des Herstellers Kweichow Moutai, eines Spirituosenkonzerns der Superlative. Der Jahresumsatz liegt bei fast 16 Mrd. Euro, an der Börse bringt man 300 Mrd. Euro Marktkapital auf die Waage. Laut Chairman Ding Xiongjun geht es für die Traditionsfirma vor allem darum, neue und jüngere Verbraucherschichten auf den Geschmack zu bringen. Jüngste Umfragen hatten nämlich gezeigt, dass in der Altersgruppe der nach 1990 geborenen Chinesen gerade einmal 11% noch überhaupt Interesse daran zeigen, Alkoholika mit hohen Umdrehungen zu konsumieren. Moutai liegt typischerweise bei 53%, was für sich genommen eher Mutprobe als Trinkgenuss verheißt.
Für die Latte-Kampagne konnte man natürlich nicht einfach mit Mindestlohn versehene Luckin-Baristas Moutai in die Kaffeebecher träufeln lassen. Das Zeug wäre sofort gemopst worden oder anderweitig versickert. Also hat man ein mit Moutai angereichertes Milchkonzentrat entwickelt, das nun den Kaffee Latte ein klein wenig auf Touren bringt.
Rauscherlebnisse für Generation Z
Kweichow Moutai wähnt sich nun auf der Erfolgsspur in Sachen Ansprache von Millennials und Generation Z. Schon holt man zum nächsten Cobranding-Schlag aus, diesmal in Zusammenarbeit mit der in China weitverbreiteten Schokoladenmarke Dove. Daraus ist Chinas erste heimische Schnapspraline entstanden. Auch ihr hat der Neuigkeitswert kolossalen Zulauf gebracht. Die erste Edition wurde auf der E-Commerce-Plattform JD.com sofort abgegriffen und ging in bewährter Moutai-Tradition mit satten Preisaufschlägen direkt ins Schwarzmarktlager über.
Chinesen kennen keine heimlich-frühjugendlichen Rauscherlebnisse mit der Schachtel Weinbrandbohnen und sind zum Kummer des Süßwarenkonzerns Ferrero bislang auch nicht der zarten Verführungskraft der in Mon-Chéri-Pralinen eingehüllten Piemont-Kirsche erlegen. Mon Chéri wurde nach langem Zögern in China eingeführt, findet aber im Gegensatz zu dem als Luxusgut angebotenen Ferrero Rocher kaum Abnehmer. Dem heimischen Verbraucher leuchtete die Kombination von Likör und Schokolade noch immer nicht ein. Mit einer Schnapspraline, die nicht pappsüß daherkommt, sondern durch dezentes Sojasaucenaroma besticht, kann es nur besser werden.