BlickfeldVor der Konsolidierung

Der letzte Revierkampf der Schweizer Versicherer

Der Schweizer Markt für Schadenversicherungen ist lukrativ und bereits stark konzentriert. Die von der Aktionärin Cevian bedrängte Baloise könnte eine Lücke in die Phalanx reißen.

Der letzte Revierkampf der Schweizer Versicherer

Der letzte Revierkampf im Schweizer Versicherungsreservat

Die Assekuranz hilft den Eidgenossen gern, den Besitzstand zu schützen, denn diese bezahlen gut dafür. Doch auch im Paradies gilt das Recht des Stärkeren. In dem konzentrierten Markt bahnt sich eine Konsolidierung an.

Von Daniel Zulauf, Zürich

Der Schweizer Versicherungsmarkt weist Züge eines Reservats für wohlgenährte Wildtiere auf. Belegen lässt sich diese Behauptung durch die simple Tatsache, dass eine konsumentenfreundlichere Revision des über 100-jährigen Versicherungsvertragsgesetzes während eines Vierteljahrhunderts vom Parlament verschleppt werden konnte.

Erst seit 2022 haben auch in der Schweiz die Versicherten ein Recht darauf, einen Versicherungsvertrag bis zu 14 Tage nach dessen Unterzeichnung zu widerrufen, wenn zum Beispiel nach dem Studium des notorisch kompliziert formulierten Kleingedruckten im Vertrag und/oder nach dem Eingang einer besseren Konkurrenzofferte ein solcher Widerruf angezeigt ist. Auch die in ganz Europa längst verbotenen langfristigen Knebelverträge sind in der Schweiz erst unmöglich geworden, seit das Versicherungsvertragsgesetz (VVG) allen Versicherten ein ordentliches Kündigungsrecht nach drei Jahren zugestanden hat.

Die in der Schweiz tätigen Versicherungsunternehmen ziehen neidvolle Blicke aus dem Ausland auf ihren lukrativen Heimmarkt. Im Sach- und Haftpflichtgeschäft reichen die Prämieneinnahmen seit 20 Jahren komfortabel aus, um die eingetretenen Schäden und Betriebskosten zu decken. Das ist keine Selbstverständlichkeit für eine im Prinzip hochkompetitive Branche, in der es in regelmäßigen Zyklen typischerweise zu harten, bisweilen gar zu ruinösen Preiskämpfen um Kunden und Marktanteile kommt. Im Lebengeschäft ist das Geschäft der Schweizer Versicherer zwar deutlich weniger profitabel. Aber auch in diesem Markt verdient die Branche nach einigen schwierigen Jahren im Zuge der Finanzkrise wieder ausreichende, bisweilen sogar komfortable Eigenkapitalrenditen – Tendenz steigend.

Hohe Konzentration

Dieses Schweizer Versicherungsparadies verlässt selbstredend kein Anbieter freiwillig. Im Gegenteil: Die Platzhirsche verteidigen ihr Revier seit vielen Jahren mit Erfolg. Das belegt die im internationalen Vergleich ungewöhnlich hohe und im Zeitablauf sogar noch gestiegene Konzentration des Marktes eindrücklich.

Im Schadengeschäft teilen sich acht Anbieter mehr als vier Fünftel des Marktes mit einem jährlichen Prämienvolumen von über 17 Mrd. sfr (vgl. Grafik). Im Lebengeschäft, in dem 2023 Prämien von insgesamt 19 Mrd. sfr verbucht wurden, kontrollieren sogar nur sechs Anbieter 85 Prozent des Marktes. Swiss Life dominiert hier mit einem Marktanteil von über 40 %.

Schauplatz des letzten Verteilungskampfs war Basel. Exakt vor zehn Jahren konnte sich Helvetia in einem intensiven Bieterwettbewerb um die traditionsreiche Nationale Suisse gegen Mobiliar und Baloise durchsetzen und so eine Verdoppelung des Marktanteils im begehrten Schweizer Schadengeschäft erreichen.

Während Mobiliar die Niederlage anscheinend locker wegstecken und das Geschäft aus eigener Kraft weiter ausbauen konnte, fiel Baloise zurück. Die Gesellschaft ist in ihrer Flaggschiffsparte Schadenversicherung nun deutlich kleiner als die St. Galler Konkurrentin Helvetia. Dieser hatte während langer Jahre der Ruf eines ungenügend ausbalancierten Geschäftsportefeuilles beziehungsweise eines überdimensionierten Lebengeschäfts angehaftet – ein Makel, den die Ostschweizer mithilfe der damaligen Akquisition loswerden konnten. Die Aktionäre freut’s: Von der Börse wird Helvetia inzwischen mit fast 9 Mrd. sfr bewertet; Baloise, deren Marktkapitalisierung 2013 noch fast doppelt so hoch war wie jene von Helvetia, ist mit einem aktuellen Börsenwert von knapp 8 Mrd. sfr auch in dieser Hinsicht in Rückstand geraten. Vor diesem Hintergrund könnte Baloise in die gleiche Zwickmühle geraten wie damals die Nationale Suisse. Die nach wie vor gute, aber schwindende Position im lukrativen Schweizer Markt weckt Begehrlichkeiten bei der Konkurrenz. Nicht von ungefähr kolportierte die Finanznachrichtenagentur Bloomberg unlängst anonyme Quellen, die von Fusionsgesprächen zwischen Baloise und Helvetia berichtet hatten. Die Information wurde von keiner Seite bestätigt, aber auch nicht dementiert.

Freilich ist ein solches Szenario weder originell noch neu. Solche Gespräche hätten schon vor 25 Jahren stattgefunden, ohne dass sich die Führungspersonen auf eine Teilung der Macht hätten einigen können, sagt ein langjähriger Brancheninsider. Ein anderer Beobachter weiß aus eigener Erfahrung, dass die um honorarträchtige „Deals“ buhlenden Investmentbanken seit Jahren mit dieser alten Fusionsidee hausierten, um damit jedes Mal aufs Neue in der Schublade der Ladenhüter zu landen.

Cevian macht Druck

Die Situation änderte sich, nachdem Baloise im vergangenen Jahr den Forderungen der Aktionäre nachgeben und die Stimmrechtsbeschränkung von 2 % pro Aktionär aus den Statuten streichen musste. Nach der Abschaffung dieses Schutzdispositivs hat die schwedische Investmentgesellschaft Cevian eine Beteiligung von nahezu 10 % an Baloise aufgebaut. Nun dringt Cevian auf eine Rentabilisierung der Investition – zum Beispiel in der Form einer höheren Dividendenzahlung oder eines Aktienkursanstiegs, wie er sich vielleicht durch eine Übernahme oder Fusion erzwingen lässt.

Die Möglichkeiten für letztere Optionen sind im konzentrierten Schweizer Markt begrenzt. Selbst unter dem relativ liberalen Schweizer Wettbewerbsrecht, das den Behörden im Vergleich zur EU weit weniger wirkungsvolle Fusionskontrollen ermöglicht, könnten die im Schadengeschäft führenden Anbieter Axa, Mobiliar und Zurich kaum bedenkenlos um Baloise mitbuhlen.

Realistischerweise reduziere sich das Szenario einer schweizerischen Konsolidierungslösung auf Helvetia oder den Swiss-Life-Konzern, dem 20 Jahre nach dem Teilverkauf seiner einstigen Tochtergesellschaft La Suisse an Vaudoise und Helsana eine Rückkehr in das Nichtlebengeschäft zuzutrauen sei, wie ein Beobachter meint. Tatsächlich könnte Swiss Life mit einer Diversifizierung des Versicherungsgeschäfts wertvolles Eigenkapital sparen und sich neue Wachstumsmöglichkeiten erschließen.

Chance für Ausländer

Die Baloise sucht ihr Heil derweil in einer Vorwärtsstrategie, die zu einer Steigerung der Profitabilität und des Aktienkurses führen soll. Deren Erfolg dürfte allerdings deutlich mehr Zeit in Anspruch nehmen, als der vor Wochenfrist vermeldete Anstieg des Jahresgewinns um 60 % auf 384 Mill. sfr suggeriert. Baloise profitierte im vergleichsweise schadenarmen Jahr 2024 von einem Rückgang der Schadenrückstellung um 356 Mill. Franken – ein Erfolg, der sich selbstredend nicht einfach auf die Zukunft extrapolieren lässt.

Der letzte große Revierkampf im Schweizer Versicherungsmarkt kündigt sich unter schwierigen Vorzeichen an. Vielleicht wird er wie vor 19 Jahren bei der Übernahme der Winterthur-Versicherung durch Axa mit dem Eintritt eines weiteren starken ausländischen Anbieters besiegelt.

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