LEITARTIKEL

Der nächste Sturm

Volkswagen will in den kommenden Jahren zum weltweit führenden Hersteller von Elektroautos werden und - getrieben vom kalifornischen Elektroautopionier Tesla, der dem nach Auslieferungen weltgrößten Fahrzeugbauer beim Sammeln von Daten und bei der...

Der nächste Sturm

Volkswagen will in den kommenden Jahren zum weltweit führenden Hersteller von Elektroautos werden und – getrieben vom kalifornischen Elektroautopionier Tesla, der dem nach Auslieferungen weltgrößten Fahrzeugbauer beim Sammeln von Daten und bei der Vernetzung des Autos um Jahre voraus ist – die Software-Kompetenz massiv ausbauen. Die Herausforderungen durch Klimawandel und Digitalisierung lenken den Blick notwendigerweise nach vorn – vor allem auf die Finanzierung der Zukunftstechnologien. Dabei ist die Bewältigung der größten Krise in der Firmengeschichte, deren Aufdeckung sich morgen zum fünften Mal jährt, nach wie vor nicht abgeschlossen. Und es ist auch nicht absehbar, wann man bei Volkswagen den Skandal um Abgasmanipulationen bei weltweit rund elf Millionen Dieselautos zumindest finanziell abhaken kann.In zahlreichen Jurisdiktionen weltweit stehen Entscheidungen weiterhin aus – wahrscheinlich noch für viele Jahre. So ist etwa offen, wann das vor rund zwei Jahren in Braunschweig gestartete Musterverfahren gegen Volkswagen und die Porsche SE abgeschlossen sein wird, in dem es um milliardenhohe Schadenersatzforderungen von Kapitalanlegern geht. Der Vorwurf lautet, der Konzern habe gegen Publizitätspflichten verstoßen und Anleger zu spät über den Abgasbetrug informiert.Zwar zeigt sich nach Vergleichen wie mit Verbraucherschützern in Deutschland in diesem Jahr, dass die Risiken aus der Krise für Volkswagen schrittweise beherrschbarer werden. Anstelle eines im Herbst 2015 täglich tagenden Krisenstabs mit Vertretern aus allen wesentlichen Organisationsteilen kommen inzwischen nur noch einige Vertreter aus Bereichen wie dem Finanz- und dem Rechtswesen vor allem zum Quartalstermin zusammen, um Risiken für den Konzern neu zu bewerten und adäquat in den Büchern zu reflektieren. Geprüft wird, welche Inanspruchnahmen es für gebildete Rückstellungen gibt und ob Vorsorgen ausreichen. Doch neben zum Teil verpflichtenden unbegrenzten Rückruf- und Umrüstmaßnahmen sind viele mittlerweile in den Vordergrund gerückten Rechtsthemen in ihrer Auswirkung weiter schwer abschätzbar.Ob hier die sich leider wohl noch Jahre in die Länge ziehende juristische Aufarbeitung der Verantwortlichkeiten im Volkswagen-Konzern weiterführen wird, ist offen. Mit dem bis 2018 amtierenden Audi-Chef Rupert Stadler, gegen den wegen des Vorwurfs des Betrugs, mittelbarer Falschbeurkundung und strafbarer Werbung am 30. September ein Verfahren in München beginnt, sowie mit dem im September 2015 zurückgetretenen VW-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn, den die Wirtschaftsstrafkammer Braunschweig unter anderem der Beteiligung an bandenmäßigem Betrug beschuldigt, müssen sich nun aber zwei ehemalige Top-Manager vor einem Strafgericht verantworten.Im Interesse des Unternehmens war im Mai die Einstellung des Braunschweiger Verfahrens gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden und früheren Finanzvorstand Hans Dieter Pötsch sowie gegen Vorstandschef Herbert Diess wegen des Vorwurfs der Marktmanipulation. Nicht zuletzt dürfte es damit für Volkswagen wahrscheinlicher werden, dass die Dieselkrise – abgesehen von Ausschlägen – aus der Wahrnehmung der vor allem in Deutschland kritischen Öffentlichkeit weiter diffundiert.”Dieselgate” hat inzwischen einen Aufwand von rund 32 Mrd. Euro verursacht – vor allem in den USA. Zur Einordnung: Für seine Ambition, Weltmarktführer in der Elektromobilität zu werden, kalkuliert das Zwölfmarkenunternehmen bis 2024 mit rund 33 Mrd. Euro. Für die bei Audi angesiedelte Einheit, die unter anderem ein eigenes Betriebssystem für alle Modelle des VW-Konzerns und eine automobile Daten-Cloud entwickeln soll, werden bis 2025 mehr als 7 Mrd. Euro veranschlagt. Für solche Investitionen müssen Pläne aufgehen – etwa der für das mit dem ID3 gerade begonnene Ausrollen der E-Autos im Volumensegment. Der an der Marktkapitalisierung messbare Erfolg wird aber nicht nur davon abhängen, wie glaubwürdig der Wandel hin zu alternativen Antrieben vorankommt, sondern – Innovationen beginnen im Premiumsegment – wie gut es der von der Dieselkrise getroffenen Tochter aus Ingolstadt gelingt, mit Softwareentwicklungen das verblasste Markenversprechen “Vorsprung durch Technik” neu zu beleben. Den Abgasskandal hat Volkswagen nicht überstanden, der nächste Sturm hat aber bereits begonnen.——Von Carsten SteevensDie Risiken werden beherrschbarer, doch abhaken kann VW den Dieselskandal nicht. Dabei steht jetzt der teure Technologiewandel an.——