Der Neuanfang von Adidas nach dem Desaster
Der Neuanfang nach dem Desaster
Bjørn Gulden will Adidas wieder nach oben bringen. Am früheren CEO Kasper Rorsted und dem Aufsichtsrat gibt es an diesem Donnerstag viel Kritik in der Hauptversammlung.
Von Joachim Herr, München
Bjørn Gulden startet durch. Einarbeitungszeit gibt sich der Vorstandsvorsitzende von Adidas nicht. Die hätte er angesichts der brisanten Lage des Sportartikelkonzerns auch gar nicht, und er braucht sie außerdem nicht. Der Norweger kennt die Branche in- und auswendig, war länger als neun Jahre CEO von Puma, in den neunziger Jahren schon einmal im Management von Adidas und sammelte auch in anderen Unternehmen viel Erfahrung mit Konsumgütern und Marken.
Jetzt steht Gulden seit gut vier Monaten an der Spitze von Adidas und packt an. Zum Beispiel in China. Die einstige Wachstumsregion ist wegen der Lockdowns in der Coronapandemie und Boykottaufrufen in sozialen Medien gegen westliche Marken zum Problemmarkt für die Sportartikelanbieter geworden. Für Adidas besonders stark: Zum einen war der Umsatzanteil Chinas und der relative Beitrag zum Gewinn größer als im Fall von Nike und Puma, zum anderen traf die Marke mit den drei Streifen nicht mehr den Geschmack der Konsumenten.
Guldens Vorgänger Kasper Rorsted hatte Fehler zugegeben und ein Umsteuern angekündigt. Doch passierte nicht viel, wie aus dem Unternehmen zu hören ist. Gulden verfolgt ein klares Konzept: mehr Eigenständigkeit für das lokale Management. Das ist viel näher an den Trends im Markt und kennt die Vorlieben der Käufer. Im Creation Center in Schanghai werden die Entscheidungen über einen großen Teil der Produkte getroffen. Die globale Marke stärken und mehr lokal agieren, so lautet die Strategie des neuen Vorstandschefs. In China erkennt er nach dem Abflauen der Pandemie positive Signale. Auf längere Sicht sei er sehr optimistisch, sagt Gulden. Aber er weiß auch, es wird nicht einfach. Die heimische Konkurrenz ist stärker geworden.
Nach dem Rendite-Freak Rorsted, der sich stark nach Kennzahlen richtet, orientiert sich der Markenmann Gulden mehr an den Produkten. Im Vorstand übernahm er die Leitung der Produkte und des Marketings selbst und ist für das Geschäftssegment „Global Brands“ verantwortlich. Seine Begründung für diesen Schritt: „Wir brauchen schnelle Entscheidungen.“ Sein erstes Quartal auf dem neuen Posten fasst Gulden so zusammen: Arbeit an der Produktpalette, Brainstormings für Innovationen, Gespräche mit sehr vielen Einzelhändlern, Treffen mit Zulieferern und von Adidas ausgerüsteten Athleten. Gulden erfüllt die Erwartungen der Investoren, die ihm dank des Erfolgs mit Puma viel Vertrauen schenken – trotz eines Verlusts im ersten Quartal. Seit Anfang November 2022, als sich Guldens Wechsel von Puma zu Adidas abzeichnete, legte der Kurs der Adidas-Aktie um rund 80% zu.
„Strategie implodiert“
Auf der Hauptversammlung an diesem Donnerstag in der Stadthalle Fürth geht der Blick aber auch zurück auf die Jahre mit Rorsted. Die Fondsgesellschaften Deka und Union Investment kündigten an, gegen die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat für das vergangene Jahr zu stimmen. In einer Stellungnahme spricht Deka-Fondsmanager Ingo Speich von einer desaströsen Amtszeit von Kasper Rorsted und von strategischen Fehlgriffen: „Schließlich ist die viel gepriesene Strategie implodiert, und die 2025er Ziele wurden unerreichbar.“ Der Aufsichtsrat habe viel zu spät eingegriffen und trage eine große Mitverantwortung.
Vorsitzender des Kontrollgremiums ist seit drei Jahren Thomas Rabe, der Vorstandschef von Bertelsmann und RTL. In einem Brief an die Aktionäre zur Hauptversammlung schreibt Rabe gleich im ersten Satz: „2022 war ein enttäuschendes Jahr für Adidas.“ Es bleibt ihm angesichts des Absturzes des Aktienkurses auf die Hälfte kaum eine andere Wahl, als diese Entwicklung nicht nur mit einem „schwierigen Marktumfeld“ zu erklären, sondern auch mit „unternehmensspezifischen Herausforderungen wie der Underperfomance im operativen Geschäft in China und der Beendigung der Yeezy-Partnerschaft“.
„Yeezy“ ist die Produktlinie der Schuhe des früheren Adidas-Partners Kanye West (Ye), der wegen seiner antisemitischen Äußerungen für Empörung sorgte. Rabes ernüchterndes Fazit für das vergangene Jahr: „Unsere Markenbegehrlichkeit hat abgenommen und wir haben Marktanteile verloren.“ Umsatz und Gewinn hätten die Erwartungen erheblich verfehlt. Und die Folgen der im Herbst 2022 beendeten Kooperation mit dem Rapper und Designer Kanye West sind für Adidas noch längst nicht ausgestanden.
Das neun Jahre lang gemeinsam verfolgte Geschäft trug etwa 7 bis 8% zum Konzernumsatz bei und war sehr renditestark. Das schlägt sich in den Zahlen in diesem Jahr signifikant nieder. Im ersten Quartal fiel der Umsatz von Adidas in Nordamerika um 20% – wird der Yeezy-Effekt ausgeklammert, bleibt ein Minus von nur 5%. In China verbessert sich so die Erlösentwicklung von −9% auf eine Stagnation. Der Online-Umsatz im Konzern gab um 23% nach, ohne Yeezy dreht sich die Bilanz auf plus 12%.
Dass das Nettoergebnis von Januar bis März von 310 Mill. Euro im Vorjahr auf −24 Mill. Euro abrutschte, lag auch an Yeezy. Einige Millionen Paar Schuhe sind noch auf Lager in der Welt verteilt mit einem Umsatzwert von 1,2 Mrd. Euro. Die Entscheidung, was damit passiert, ist schwierig, wie Gulden bekräftigt. Aber: „Wir kommen einer Lösung näher.“ Sehr viele Interessen seien zu berücksichtigen. Die Aspekte reichen von Umweltbelangen bis zur Geschäftsethik.
Klage und interne Untersuchung
Gulden rechnet damit, dass Yeezy das Betriebsergebnis in diesem Jahr mit etwa einer halben Mrd. Euro belastet. Sollte beschlossen werden, die Schuhe nicht zu verwenden, käme eine Abschreibung in Höhe einer weiteren halben Milliarde hinzu. Das ist noch nicht alles: In den USA wird Adidas mit einer Schadenersatzklage von Investoren konfrontiert. Sie werfen dem Unternehmen vor, schon seit Jahren über Verfehlungen Kanye Wests informiert gewesen zu sein, ohne gehandelt zu haben. Die Klage richtet sich auch gegen Rorsted und Finanzvorstand Harm Ohlmeyer. Adidas weist die Ansprüche als unbegründet zurück und kündigt an, sich „mit Nachdruck dagegen zu wehren“.
Union Investment will auf der Hauptversammlung nachhaken. Im November hatte Fondsmanager Janne Werning verlangt, Adidas müsse offenlegen, wann Vorstand und Aufsichtsrat erstmals über interne Vorwürfe gegen West informiert wurden. Anstoß gab ein Schreiben mit anonymem Absender, das von Mitarbeitern der Kooperation stammen soll. Adidas hat daraufhin eine unabhängige Untersuchung angekündigt. Ergebnisse präsentierte das Unternehmen noch nicht.