Der Preis der Unfreiheit
Der Preis der Unfreiheit
Die Kosten für den Rauswurf von Huawei aus deutschen Mobilfunknetzen sind schwer überschaubar. Ein Hauruckverfahren stößt ohnehin an seine Grenzen.
Von Heidi Rohde, Frankfurt
In Großbritannien ist beim Mobilfunkanbieter Sky Mobile kürzlich das eingetreten, was Unternehmen der Branche bereits seit längerem befürchtet hatten. Der Ausbau von Komponenten des chinesischen Telekomausrüsters Huawei führte bei dem Anbieter, der das Netz von Virginmedia O2 nutzt, dem Vernehmen nach zu starken Beeinträchtigungen in der Netzqualität, vom Ausfall des Mobile Internet bis hin zum totalen Signalausfall, wie es später in sozialen Netzwerken hieß. Die britische Regierung hat den Telekomnetzbetreibern an sich bis Ende 2027 Zeit gegeben, um sämtliche Huawei-Komponenten aus den Netzen zu nehmen. Aus dem Kernnetz müssen sie aber bis Jahresende entfernt werden. Ursprüngliche Deadline war sogar Ende Januar, jedoch wurde die Frist aufgrund schwerer Bedenken gegen einen schnellen Austausch auf Ende 2023 geschoben.
Raus aus den Antennen
Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen der hiesigen Telekombranche, die sich gegen einen Austausch von Komponenten chinesischer Ausrüster im Hauruckverfahren stemmt. Den neuerlichen Vorstoß des Bundesinnenministeriums (BMI), Komponenten von Huawei und ZTE schneller und umfassender aus dem Mobilfunknetz zu entfernen als bisher vorgesehen, sehen die Unternehmen entsprechend kritisch. Obwohl sich das BMI noch nicht offiziell präzise geäußert hat, geht es Spekulationen zufolge auch in Deutschland nun nicht mehr nur um die Entfernung von Huawei aus dem 5G-Kernnetz, sondern auch um die Säuberung des Antennennetzes (RAN). Dieses soll in vier bis fünf Jahren nur noch 25% an Komponenten chinesischer Hersteller enthalten dürfen. Es lägen „Anhaltspunkte vor, dass ihr weiterer Einsatz die öffentliche Ordnung oder Sicherheit der Bundesrepublik beeinträchtigen könnte“, heißt es zur Begründung aus dem Ministerium. Konkret fürchtet die Politik die Gefahr von Spionage oder gar Sabotage, zu der Huawei durch die chinesischen Behörden gezwungen werden könnte.
"Mittendrin" neu besonnen
Das Vorgehen des BMI ist indes für die Telekomnetzbetreiber vor allem auch deshalb ein Ärgernis, weil sich die Branche erst vor relativ kurzer Zeit mit der Bundesregierung und den Behörden auf ein aufwendiges Zertifizierungsverfahren geeinigt hatte. Dessen Grundlage ist unter anderem ein Katalog mit sogenannten kritischen Komponenten, deren Einbau von den Unternehmen zur Genehmigung angemeldet werden muss. „Mittendrin“ und nachdem das BMI just den dritten umfangreichen Fragenkatalog zu den bewussten Teilen verschickt hat, so ist aus unternehmensnahen Kreisen zu hören, kommen nun die weiter gehenden Forderungen nach einem Rückbau von Netzkomponenten.
In zwei Jahren "ausgeschlossen"
Auch Branchenexperten halten eine Ad-hoc-Beseitigung von chinesischen Komponenten für nicht durchführbar. „Ein Rückbau binnen zwei Jahren ist ausgeschlossen“, betont Nejc Jakopin, Partner bei Arthur D. Little (ADL), gegenüber der Börsen-Zeitung. Wenn überhaupt, dann sei ein „Austausch im Zuge eines Modernisierungszyklus noch am besten machbar“. Dabei sei davon auszugehen, dass in den kommenden Jahren dafür ohnehin eine Vielzahl von Antennen angefasst werden müsste. Der Manager weist mit Blick auf die neu aufgeflammte Sicherheitsdebatte darauf hin, dass die „Verwundbarkeit der Netze grundsätzlich zugenommen hat, weil in wachsendem Maße Softwarekomponenten eingesetzt werden. Die Technik entwickelt sich weiter, damit entstehen auch neue Sicherheitsherausforderungen“, so Jakopin.
Aus Sicht der Telekom ist unterdessen „ein Zieldatum für den RAN-Austausch bis 2026 realitätsfern“. Im Hinblick auf die Tücken des Rückbaus erklärt der Bonner Konzern, es „erschließt sich uns nicht, warum den deutschen Mobilfunkkundinnen und -kunden, die von einem der besten 5G-Netze in Europa profitieren, vom BMI ohne Not wesentliche Qualitätsverluste zugemutet werden sollen.“ Und natürlich werde die Telekom „im Falle eines Verbotes entsprechende Entschädigungsforderungen im Sinne unserer Aktionärinnen und Aktionäre prüfen müssen“. Konkurrent Telefónica Deutschland stößt ins selbe Horn: Für einen rückwirkend notwendigen Umbau des Netzes würden „Schadensersatzansprüche gegen die Bundesrepublik Deutschland“ geprüft. Der in München ansässige Mobilfunkanbieter dringt überdies auf einen „ausreichend langen Zeitraum“ für einen Austausch. Dies sei „zur Aufrechterhaltung von Netzqualität und -leistung essenziell“.
Tatsächlich gestaltet sich ein Rückbau chinesischer Komponenten aus dem RAN-Netz alles andere als trivial. Denn dort geht es nicht nur um 5G-Technik von Huawei, sondern auch um den Marktanteil des Unternehmens in den Vorgängerstandards. Bisher haben die Telekomnetzbetreiber hierzulande nur den teuren und ineffizienten 3G-Standard UMTS abgeschaltet. 2G läuft weiter und vor allem 4G ist noch durchgängig von vielen Verbrauchern in Benutzung. Der Marktanteil von Huawei bei 4G liegt Schätzungen zufolge in Deutschland bei rund 50%. Die Kosten für einen schnellen Austausch wären erheblich.
Nur zwei Vollanbieter
Die Experten von Barclays kalkulieren auf Basis von 50.000 Euro pro Antennenmast, der umgerüstet werden muss, für die drei Netzbetreiber Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland hierzulande mit Kosten von 1,1 Mrd. Euro bzw. jeweils 700 Mill. Euro. Allerdings umfasst diese Schätzung nur unmittelbare Kosten. Weit höher wären vermutlich die Opportunitätskosten für die Branche. ADL-Experte Thomas Strohmaier weist daraufhin, "dass den Netzbetreibern als Alternativen kurzfristig vor allem die skandinavischen Anbieter Ericsson und Nokia zur Verfügung stehen. Dabei stellt sich jedoch die Frage, „inwieweit Ericsson und Nokia überhaupt die Kapazitäten hätten, um kurzfristig in die Bresche zu springen“, so Strohmaier.
Preisschub zu erwarten
In jedem Fall dürfte die neue Unfreiheit der Unternehmen bei der Wahl ihres Ausrüsters eine Verknappung auf der Angebotsseite zur Folge haben, so dass die Preise steigen, über den Schub der Inflation hinaus. Zwar sind in jüngster Zeit auch andere Unternehmen in den Markt eingestiegen, darunter Samsung, die bei 5G wohl noch das umfassendste Angebot hat, darüber hinaus Cisco und Mavenir, die beide allerdings bisher keine Antennentechnik liefern. Ganz ohne Antennen kommt auch die virtualisierte sogenannte Open-RAN-Technik, wie sie beispielsweise Rakuten verwendet, nicht aus.
Die Fraktion der Bedenkenträger, die auf den Ausschluss chinesischer Anbieter dringt, weist darauf hin, dass die Kosten eines Sicherheitsvorfalls so hoch wären, dass sie kaum überschätzt werden können. Das gilt allerdings auch für Huawei selbst. Käme irgendwo nur der Hauch eines Zweifels auf, dass das Unternehmen ein Software-Update für irreguläre Zwecke missbraucht hätte, wäre dem Konzern vermutlich von einem auf den anderen Tag die Geschäftsgrundlage entzogen, und zwar global. Es erscheint fraglich, ob die chinesische Regierung das riskieren würde.
Nicht zuletzt muss auch klar sein, dass die Telekomnetzbetreiber den Aufwand, den sie in den Rückbau oder Austausch von Anlagen stecken, nicht für den Netzausbau oder Lückenschluss verwenden können. Da wird die Politik dann wohl kürzertreten müssen.