LeitartikelInfrastruktur

Der Realität nicht gewachsen

Klimafolgenschutz ist so unverzichtbar wie Klimaschutz. Denn schon heute hält die Infrastruktur dem immer häufigeren Extremwetter nicht mehr stand.

Der Realität nicht gewachsen

Infrastuktur

Der Realität nicht gewachsen

Von Lutz Knappmann

Klimafolgenschutz ist so unverzichtbar wie Klimaschutz. Schon heute hält die Infrastruktur nicht mehr stand.

Ertappt! Wie so viele latente Probleme bekommt auch dieses häufig erst dann größere (mediale) Aufmerksamkeit, wenn es direkt vor der eigenen Haustür zu spüren ist: So wie am vergangenen Mittwoch, als die Finanzmetropole Frankfurt, in der die Börsen-Zeitung beheimatet ist, unter den Regenmassen einer spektakulären Gewitterfront regelrecht absoff. Die Bilder von Deutschlands größtem Flughafen, dessen Rollfeld kniehoch unter Wasser stand, gingen um die Welt. Ebenso das Video einer örtlichen S-Bahn-Station, in die das Regenwasser hineinrauschte, als wäre die Rolltreppe ein Wasserfall. Was dieser Abend der schockierten Bevölkerung eindrucksvoll bewies: Die lokale Infrastruktur ist den sich häufenden Extremwetter-Ereignissen längst nicht mehr gewachsen. Und das erleben – in beunruhigender Frequenz – immer mehr Menschen in nahezu allen Teilen des Landes.

Ist das noch Wetter oder schon der Klimawandel? Diese im politischen Diskurs gerne formulierte Frage ist letztlich akademisch, angesichts von Sintfluten, Waldbränden, wiederkehrendem Niedrigwasser und in sommerlicher Gluthitze schmelzenden Straßenbelägen. Selbst wenn es mit vereinten Kräften gelingt, die Erderwärmung langfristig auf die vielbeschworenen 1,5 Grad einzudämmen, ändert das nichts daran, dass die Funktionsfähigkeit des hiesigen Alltags vielen Wetterereignissen schon heute nicht mehr standhält.

Das zentrale Stichwort lautet also: Klimafolgenschutz. Und gemessen daran, wie offensichtlich der infrastrukturelle Handlungsbedarf ist, fällt es in der ausgeprägt kontroversen Debatte über die Zukunftsfähigkeit des Landes erstaunlich selten. Das Geschrei über eine vermeintliche Wärmepumpen-Diktatur übertönt so viele wichtigere Themen. 57,6 Mrd. Euro will die Bundesregierung im kommenden Jahr beispielsweise aus dem Klima- und Transformationsfonds ausschütten, um Klimaschutzmaßnahmen zu finanzieren. Sie fließen in die energetische Gebäudesanierung, in den Ausbau der erneuerbaren Energien, in den Ausbau der Bahn-Infrastruktur und viele andere Maßnahmen zur Senkung des CO2-Ausstoßes. Damit keine Missverständnisse entstehen: All diese Maßnahmen sind notwendig und unverzichtbar, um die Ursachen des Klimawandels zu bekämpfen. Und es gäbe reichlich Gründe zu diskutieren, ob die zugesagten Mittel dafür ausreichen.

Die kostspielige Realität ist nur: Es gilt das eine zu tun, ergo auch zu finanzieren, ohne das andere zu lassen. Die Resilienz von Städten und Gemeinden zu steigern gegen die schon jetzt zu erlebenden Folgen des Klimawandels erfordert gewaltige Investitionen – und Maßnahmen, die häufig invasiver sind als etwa der Bau von Windkraftwerken.

Nur ein Beispiel: Am Stadtrand der Ruhrgebietsmetropole Dortmund ist in einem fast 20 Jahre dauernden Planungs-, Genehmigungs- und schließlich Bauverfahren ein gewaltiges Regenrückhaltebecken entstanden – heute liebevoll "Emscher-Auen" genannt. Ziemlich überdimensioniert fanden viele Anwohner die 900.000 Kubikmeter fassenden Reservoirs. Bis diese Mitte 2021, kaum eingeweiht, nach einem Unwetter vollliefen bis zum Rand. Nun werden sie für mehr als 8 Mill. Euro weiter ausgebaut. Bis 2030 sind für das gesamte Ruhrgebiet rund 250 Mill. Euro Fördermittel eingeplant – allein für den Ausbau der Infrastruktur, die den Ballungsraum vor Überschwemmungen bewahren soll.

Kein Gramm CO2 sparen solche Maßnahmen ein. Innovationspreise sind mit der Modernisierung der Wasserinfrastruktur auch selten zu gewinnen. Gleichwohl sind sie viel zu lange unterblieben. Wie sehr Deutschland jahrzehntelang auf Verschleiß gelebt hat, lässt sich täglich am Zustand der Autobahnbrücken ablesen. Die Folgen des Klimawandels aber geben dem Problem eine ganz neue – und wachsende – Dimension: Von überschwemmten Flughäfen startet kein Flugzeug, durch ausgetrocknete Flüsse fährt kein Frachtschiff, in verbrannten Wäldern entsteht kein Bauholz. Ohne massive Investitionen in die grundlegende Infrastruktur steht die Existenzgrundlage vieler Menschen auf dem Spiel. Schon jetzt.

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