Bundestagswahl

Der Wahlkampfmotor stottert

Bei der Frage, wie sich eine künftige Regierung positionieren würde, gäbe es durchaus einige Punkte, die die Parteien im Wahlkampf ansprechen könnten. Viele lassen die Kandidaten offen.

Der Wahlkampfmotor stottert

Fünf Wochen vor der Bundestagswahl hat sich das Blatt gewendet. Sah alles zunächst nach einem glatten Sieg von Union und Grünen aus, bei dem zeitweise sogar den Grünen die Führung zugetraut wurde, scheint nun alles wieder offen. Umfragen zufolge wäre auch ein linkes Bündnis aus SPD, Grünen und Linkspartei möglich oder eine Ampel von SPD und Grünen mit der FDP. Die jüngste Umfrage sieht eine tief abgesackte CDU/CSU sogar gleichauf mit einer leicht verbesserten SPD. Umfragen sind Momentaufnahmen und keine Vorhersagen, wie sich die Wähler am 26. September bei der Bundestagswahl entscheiden. Die frühere Gewissheit der Demoskopen ist dahin, seit sich viele Wähler oft erst wenige Tage vor der Abstimmung entscheiden oder es am Wetter liegt, ob sie überhaupt ins Wahllokal gehen.

Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Grüne) fechten den demokratischen Wettstreit aus, wer als nächster Regierungschef ins Kanzleramt einzieht. Erstmals in der Bundesrepublik Deutschland tritt ein Regierungschef – hier die Chefin – nicht wieder zur Wahl an. Nach 16 Jahren CDU-Kanzlerin Angela Merkel haben es die Kandidaten schwer, die Wähler auf etwas Neues einzustimmen. Ganz so verlief der bisherige Wahlkampf. Möglichst wenig Veränderung in einer unruhigen Welt, dies versuchen sie den Wählern zu vermitteln. Nicht alles anders, aber besser – so lautet die Devise. Die Deutschen sind schließlich auf Kontinuität abonniert. Dazu gehört auch die Strategie, nicht Ecken und Kanten zu zeigen, sondern möglichst glatt durch den Wahlkampf zu kommen und keine Fehler zu machen. Die Wahlbeobachter und die Netzgemeinde machen es den Kandidaten auch nicht leicht. Ein herzliches Lachen von Laschet an der falschen Stelle, aber aus dem Zusammenhang gerissen, ein frauenfreundlich beschnittenes Gruppenbild mit Damen um Baerbock, fehlende Kenntnisse über die aktuellen Benzinpreise bei Scholz – das sind die Aufreger der Nation. Zitierfehler in Büchern, die ohnehin keiner lesen will und die nur den Autoren einen intellektuelleren Anstrich geben sollen, gehören auch zu diesem Kanon. Ein Wählervolk, das sich an solchen Fragen hochzieht, verdient nichts Besseres.

Spätestens mit dem Wochenende hat die „heiße Phase“ des Wahlkampfs begonnen. Die CDU/CSU inszenierte diesen Auftakt in Berlin. Die SPD hatte sich bereits in Bochum eine Woche zuvor motiviert. Wie labil die Lage ist, zeigt sich auch daran, dass allen Ernstes die Auswahl der Spitzenkandidaten bei Union und Grünen aus den eigenen Parteireihen unterschwellig zur Disposition gestellt wird. Grünen-Co-Vorsitzender Robert Habeck reagiert selbstverliebt und ausführlich auf Interviewfragen, ob er nicht der bessere Kandidat sei, nachdem Baerbocks Integrität durch die verspätete Meldung von Nebeneinkünften und einen unstimmigen Lebenslauf angekratzt war. CSU-Chef Markus Söder beteuerte so wortreich seine Loyalität zu Laschet, dass seine Überzeugung, er selbst wäre der aussichtsreichere und bessere Kandidat gewesen, offenkundig durchschien. Wie sollen Wähler vom Spitzenpersonal überzeugt sein, wenn die Führungsriege­ an ihren eigenen Galionsfiguren rüttelt? Scholz muss hingegen beteuern, dass er im Fall eines Wahlsieges nicht die blasse Parteiführung wegputscht, der die SPD-Mitglieder den Vorzug vor ihm als erfahrenem Bundespolitiker und Regierungsmitglied gegeben hatten.

Der Wahlkampfmotor stottert. Das liegt nicht nur an unwägbaren Ereignissen wie der Flutkatastrophe im Ahrtal und der menschlichen Tragödie in Afghanistan seit dem Abzug der Westalliierten. Es gäbe durchaus wichtige Fragen, wie eine künftige Regierung sich positioniert. Viele bleiben offen. Wie soll nach der Coronakrise die Wirtschaft wieder anspringen? Welches Steuersystem taugt dafür? Sind Wachstumsimpulse oder Umverteilung wichtiger? Wie viel Staatsschulden kann die nächste Generation in einer alternden Gesellschaft verkraften? Wie stabil sind gesetzliche Rente und Beiträge für Versicherte und Wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten? Wie gelingt der Weg eines Industrielandes zur Klimaneutralität, ohne Schaden zu nehmen? Wie lässt sich sinnvoll Kapital mobilisieren, um eine innovative Wirtschaft und unseren Wohlstand zu bewahren? Wo liegen die Perspektiven für Europa? Welche Rolle spielt Deutschland in der Außen- und Sicherheitspolitik – und was bedeutet dies für die exportorientierte hiesige Wirtschaft?

Fünf Wochen bleiben noch, um Antworten zu liefern. Gerade im Umbruch ist klare Führung gefragt. Die Wähler werden es an der Urne honorieren.

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