Der Weg nach Uitrit
Notiert in Brüssel
Der Weg nach Uitrit
Von Detlef Fechtner
Manchmal ist es gar nicht so einfach, sich in Belgien zurechtzufinden. Immerhin haben die Ortschaften ja stets zwei Namen, den flämischen und den wallonischen. In einigen Fällen sogar drei. Dann nämlich, wenn die deutsche Minderheit in Ostbelgien dafür sorgt, dass zum Beispiel Louvain-La-Neuve nicht nur zugleich Nieuw Leuven heißt, sondern auch Neu-Löwen.
Das Beispiel stellt übrigens einen ausgesprochen einfachen Fall dar, denn dass Louvain, Leuven und Löwen für ein und dasselbe steht, kann man sich eigentlich denken. Man muss auch nicht Sprachwissenschaften studiert haben, um zu ahnen, dass Bruxelles und Brussel oder Gent und Gand jeweils zwei Namen der gleichen Stadt sind. Auch darauf, dass Mons und Bergen eins sind, kann man mit etwas Nachdenken kommen – insbesondere wenn man das kleine Latinum bestanden hat. Anspruchsvoller wird es derweil, wenn der ausländische Gast des Landes verstehen soll, dass das Schild in Richtung Tirlemont ihn in das Städtchen führt, das auf Flämisch Tienen genannt wird. Und spätestens dann, wenn man sich auf den Weg ins Dörfchen Braine l´Alleud macht, braucht man einen heimischen Publikumsjoker, den man von der Autobahn aus anrufen kann. Denn Hand aufs Herz: Wer käme darauf, dass Braine l´Alleud auf Flämisch Eigenbrakel heißt.
Ehrlich gesagt kann man den Eindruck gewinnen, die Belgier machten sich ein Spielchen daraus, den unbedarften Touristen an der Nase herumzuführen. Und irgendwie würde das ja auch passen. Immerhin ist Belgien das Land des Surrealismus und hat so feinsinnige Schelme wie den großartigen René Magritte hervorgebracht, der eine Pfeife malt – und drunterschreibt, das sei keine Pfeife: Ceci n´est pas une pipe! Warum etwa haben die Belgier ausgerechnet den Südbahnhof "Bruxelles Midi" genannt, was wie Brüssel Mitte klingt? Warum schreiben die Flamen "trekken" an Türen, die man ziehen muss? Kurzum: Der Alltag hält reichlich Herausforderungen für den Landesfremden bereit.
Richtig schwierig ist die Sache mit den doppelten oder dreifachen Ortsnamen übrigens für Tramper. Sie müssen, wenn ein Auto stoppt, zu einer länglichen Rede ansetzen: "Est-ce que vous allez à Aix-la-Chapelle? Rijden U naar Aken? Do you go to Aachen?". Und sie müssen aufpassen, dass sie dabei landsmannschaftliche Gefühle nicht verletzen. Legendär ist die Geschichte des Trampers, der von Rotterdam Richtung Belgien unterwegs war und als Zielort auf seinem Schild "Anvers" stehen hatte – statt Antwerpen. Angeblich hat er sich viele Stunden darüber gewundert, warum ihm – mitten im tiefsten Flandern – die Autofahrer den Finger zeigten.
Neulich fragte mich übrigens jemand, den die Städtenamen-Tandems völlig überforderten, wo in aller Welt eigentlich die Stadt Uitrit liege, die so oft ausgeschildert sei. Nun, wahrscheinlich wissen (oder ahnen) die meisten, dass Uitrit weder an der Maas noch an der Schelde oder an der Senne liegt, sondern schlichtweg nichts anderes heißt als Ausfahrt.