Im BlickfeldBahnverkehr

Der Wettbewerb auf Spaniens Schiene kommt ins Rollen

Für Reisende ist die Öffnung des Bahnverkehrs ein voller Erfolg. Doch der harte Preiskampf verhagelt den Unternehmen die Bilanzen.

Der Wettbewerb auf Spaniens Schiene kommt ins Rollen

Der Wettbewerb in Spanien kommt ins Rollen

Für Bahnreisende ist die Liberalisierung ein Erfolg. Die Betreiber machen Verluste.

Von Thilo Schäfer, Madrid

Ursprünglich wollte die spanische Staatseisenbahn Renfe pünktlich zu den Olympischen Sommerspielen in Paris die Hochgeschwindigkeitsverbindung zur französischen Hauptstadt in Betrieb nehmen. Doch damit wird es wohl erst gegen Ende des Jahres etwas. Die Spanier warten nämlich weiterhin auf die Zertifizierung ihrer Züge, um auch auf dem Teilstück zwischen Lyon und Paris verkehren zu können. Hinter diesen technischen Anforderungen vermutet man in Madrid eine Verzögerungstaktik der Franzosen, um einen ungeliebten Wettbewerber auszubremsen. Der spanische Verkehrsminister Óscar Puente kritisierte ganz offen einen Mangel an Gegenseitigkeit bei der Marktöffnung.

Ärger über die Franzosen

Denn während Renfe bisher lediglich die Strecke von Madrid über Barcelona bis Lyon bedienen darf, hat sich Ouigo, der Ableger der staatlichen französischen SNCF, in Spanien dank der Marktöffnung vor drei Jahren richtig breitgemacht. Minister Puente kündigte Ende Juni an, dass die Regierung über Renfe den Mitbewerber aus dem Nachbarland bei der Europäischen Kommission anklagen werde, und zwar wegen „Praktiken, die gegen den unter allen vereinbarten Wettbewerb gehen“. Zuvor hatte der Sozialist Ouigo offen des Dumpings bei den Fahrpreisen bezichtigt, was den anderen beiden Anbietern im Markt für den Passagierverkehr, Renfe und die italienisch-spanische Iryo, Verluste beschert. Ouigo stritt die Vorwürfe eines unlauteren Preiskrieges ab. Das Geschäftsmodell basiere auf einer Auslastung der doppelstöckigen Züge von 90%, erklärte die Geschäftsführerin von Ouigo España, Hélène Valenzuela. Dies sei nun erreicht. In diesem Jahr wolle man nach den Anfangsverlusten erstmals eine schwarze Null schreiben.

Preisverfall von 40 Prozent

Im März wollte Puente die Franzosen noch bei der spanischen Wettbewerbsaufsicht, der Comisión Nacional de los Mercados y la Competencia (CNMC) ankreiden. Nun zieht der Minister den Gang nach Brüssel vor. Die CNMC ist nämlich mehr als zufrieden über den regen Wettbewerb im spanischen Hochgeschwindigkeitsnetz, das zweitgrößte der Welt nach China. In einer neuen Studie zog der Aufseher Bilanz der ersten drei Jahre der Liberalisierung, die im Mai 2021 mit dem ersten Zug von Ouigo von Madrid nach Barcelona begonnen hatte. Später kam Iryo, angeführt von der staatlichen Trenitalia, hinzu. Platzhirsch Renfe reagierte mit der Gründung des Low-Cost-Ablegers Avlo. Neben der meistbegehrten Route zwischen Madrid und Barcelona läuft der Wettbewerb auch auf den Strecken von der Hauptstadt nach Valencia, Alicante sowie in den Süden nach Málaga und Sevilla.

Die Marktöffnung hat laut der CNMC das Angebot stark ausgebaut und die Preise purzeln lassen. Auf den liberalisierten Strecken stieg das Angebot an Fahrplätzen gegenüber 2019 um 60%. Die Zahl der Reisenden erhöhte sich um 10 Millionen Personen auf 41 Millionen. Die Ticketpreise fielen derweil um 40% auf jenen Routen, wo voller Wettbewerb herrscht. Auf den Strecken mit nur zwei Anbietern gingen die Preise dagegen nur um 10 bis 24% zurück. Auf der Webseite von Ouigo konnte man am Montag Einzelfahrten von Barcelona nach Madrid – 506 Kilometer in unter drei Stunden – für kommenden Samstag für 39 Euro ergattern, im September für nur 19 Euro. Der Schnellzug hat den inländischen Flugverbindungen Marktanteile abgenommen. Zwischen Madrid und Barcelona wählen mittlerweile mehr als 80% der Reisenden die Bahn. Die Linksregierung plant zudem, kurze Strecken mit dem Flieger im Sinne der Dekarbonisierung zu unterbinden, auch wenn noch längst nicht klar ist, wie das umgesetzt werden soll.

„Spanien ist sehr schnell zum Land mit dem größten Wettbewerb im Hochgeschwindigkeitsnetz in Europa geworden“, konstatierte Trainline, das führende Vergleichsportal für die Eisenbahn mit Sitz in London, gegenüber elconfidencial.com. Schließlich bescherte der Anstieg des Angebots durch die neuen Anbieter dem staatlichen Betreiber der Bahninfrastruktur Adif im letzten Jahr Mehreinnahmen von 148 Mill. Euro gegenüber 2019 durch die Nutzungsgebühren für die Strecken.

Adif und Bahnreisende in Spanien sind die klaren Gewinner der Marktöffnung. Auf der anderen Seite stehen Betreibergesellschaften, wie die CNMC einräumt. „Der Gesamtumsatz der drei Unternehmen, die auf den geöffneten Strecken operieren, unterscheidet sich kaum vom Ergebnis, das Renfe vor der Liberalisierung allein erzielte, und fast alle schreiben Verluste“, kommentieren die Wettbewerbshüter in ihrer Studie und liefern eine Erklärung: „Der Einstieg in einen Markt wie den Bahnverkehr ist teuer und man kann keine Gewinne in den ersten Zeiten erwarten, aber in diesem Fall haben die Einschränkungen des Verkehrs in der Pandemie und die gestiegenen Energiekosten die Situation verschlimmert“, so die CNMC.

Hohe Gebühren

Die Marktaufsichtsbehörde schließt sich den Klagen der Unternehmen an und verlangt eine Überholung des sogenannten „cánon“, der Gebühr, die die Bahnbetreiber für die Nutzung des Schienennetzes an Adif zahlen müssen. In Europa nehmen nur Frankreich und Großbritannien mehr Geld von den Bahnkonzernen für die Infrastruktur. Immerhin ist der „cánon“ vorerst eingefroren. In Brüssel kritisiert man die Rolle von Adif. Zwar ist der Netzbetreiber vom Transportunternehmen Renfe getrennt worden, doch bei beiden hat der Staat als Eigentümer das Sagen. Die Kommission hinterfragt daher die Unabhängigkeit von Adif, der in manchen Fällen eine Bevorteilung von Renfe gegenüber den beiden neuen Mitstreitern vorgeworfen wurde.

Trotz der diversen Probleme schaut man im europäischen Ausland interessiert auf die Ergebnisse der Liberalisierung der spanischen Hochgeschwindigkeitsstrecken. Denn nach dem Sommer beginnt die Planung für die nächste Phase der Marktöffnung des Passagierverkehrs im Lande. Es geht dabei etwa um die jüngst fertiggestellten Hochgeschwindigkeitsstrecken in den Norden, nach Galicien und Asturien. Das bietet neue Möglichkeiten, aber diese Routen sind bei weitem nicht so attraktiv wie die drei Korridore, die bislang für den Wettbewerb geöffnet wurden. Neben Renfe, Ouigo und Iryo erwartet man auch neue Mitbewerber, einer davon ein Konsortium um das Busunternehmen Alsa. Unter der Lupe ist auch eine Marktöffnung anderer Segmente, wie der mittleren Strecken und des Nahverkehrs.

Renfe hat derweil schon einmal eine Filiale in Paris aufgemacht, Renfe France. Von dort aus möchte man den Markt im Nachbarland erobern, wenn der Zug bis nach Paris denn einmal ins Rollen kommt.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.