Im BlickfeldInternationale Vergleichsstudie zur Inklusivität von Städten

Deutsche Metropolen haben Aufholpotenzial

Deutsche Städte müssen noch einiges tun, um wirklich inklusiv zu werden und alle Menschen gleichberechtigt am Leben teilhaben zu lassen. Nach einem internationalen Vergleich gibt es Defizite bei der Gleichberechtigung, in der Gesundheitsversorgung und bei der Bekämpfung der Kriminalität.

Deutsche Metropolen haben Aufholpotenzial

Deutsche Metropolen haben Aufholpotenzial

Internationale Vergleichsstudie zeigt Defizite bei Gleichberechtigung, Gesundheitsversorgung und Kriminalitätsbekämpfung

Von Thomas List, Frankfurt

Inklusive Städte – was soll das sein? Inklusivität bedeutet, eine Umgebung zu schaffen, in der alle Menschen unabhängig von ihren Unterschieden gleichberechtigt teilhaben können sowie respektiert und wertgeschätzt werden. Die Berater des Maklerhauses Cushman& Wakefield (C&W) haben für 44 Städte in Europa, dem Nahen Osten und Afrika untersucht, inwieweit sie „inklusiv“ sind. Im Inclusive Cities Barometer tragen soziale, wirtschaftliche, räumliche und ökologische Aspekte zur Inklusivität urbaner Räume bei. Die für die 110 Kennzahlen erforderlichen Daten stammen von der Weltbank, den Vereinten Nationen und von C&W selbst.

Dialog wird angestoßen

Mit dem Inclusive Cities Barometer sollen Städte und Stakeholder der Immobilienbranche inspiriert und angeleitet werden, inklusivere, lebendigere und nachhaltigere urbane Umgebungen zu schaffen, sagt Tina Reuter, Head of Germany von Cushman & Wakefield. „Diese Städte fördern die unabhängige und produktive Teilhabe aller Bürger und bieten gleichberechtigten Zugang zur gebauten Umwelt und zur sozialen Infrastruktur“, erläutert Helge Zahrnt, Head of Research & Insight Germany bei C&W.

Die Städte wurden nach vier Hauptkriterien untersucht. Bei der sozialen Inklusivität geht es unter anderem um den Zugang zu wesentlicher sozialer Infrastruktur. Außerdem soll die psychische und physische Gesundheit für diverse und integrierte Bevölkerungsgruppen sichergestellt werden. Schließlich geht es um einen möglichst guten Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und um die Gleichberechtigung der Geschlechter.

Wohlstand gerecht verteilen

Wirtschaftlich inklusive Städte bieten ausgewogene Beschäftigungsmöglichkeiten und verpflichten sich, den vorhandenen oder geschaffenen Wohlstand (möglichst gerecht) zu verteilen. In diesen Städten gibt es wenig Arbeitslose.

Bezahlbarer Wohnraum und ein breites Netz barrierefrei zugänglicher öffentlicher Transportmittel gehören zur räumlichen Inklusivität. Dabei geht es aber auch um Gebäude, die den Bewohnern eine hohe Lebensqualität ermöglichen und eine sichere Umgebung (ohne Gewalt und Verbrechen).

Schließlich sollten inklusive Städte die Umwelt möglichst wenig belasten und durch eine nachhaltige Stadtplanung dafür sorgen, dass lebenswerte Umgebungen erhalten bleiben.

Spitzenplatz für Rotterdam

Als derzeit inklusivste Stadt hat sich in der Untersuchung Rotterdam herauskristallisiert. Die Stadt biete eine breite Palette von Arbeitsplätzen für alle Bevölkerungsschichten und habe zahlreiche Initiativen zur sozialen und ökologischen Inklusivität umgesetzt. So würden das „Sustainable Port Program“ und das „Shore Power Project“ für eine geringere Umweltbelastung sorgen und die Nachhaltigkeit fördern. „Diese umfassenden Bemühungen in den Bereichen Wirtschaft, Soziales, Raum und Umwelt machen Rotterdam zu einem Vorbild für andere Städte weltweit“, heißt es in der Auswertung.

Im Inclusive Cities Barometer wurden fünf deutsche Städte untersucht: Berlin, Hamburg, Frankfurt am Main, München und Köln. Sie werden als „Social Drivers“ bezeichnet, die zwar in vielen Bereichen bei der sozialen Inklusion schon sehr weit sind. Bei der Verringerung der Ungleichheiten in Bezug auf Wohlstand und Lebensstil gelten sie aber als noch nicht so weit fortgeschritten.

Fünf deutsche Städte sind dabei

Die fünf deutschen Städte seien sehr integrationsfähig und wirtschaftlich attraktiv. Dadurch zögen sie internationale Investoren und Unternehmen an. Allerdings wiesen sie noch Entwicklungspotenzial auf. Berlin betreffend werden als Top-Pluspunkte die niedrige Arbeitslosenrate, die wirtschaftliche Innovationskraft und die große Toleranz gegenüber anderen Kulturen genannt. Als verbesserungswürdig gelten die vergleichsweise geringe soziale Inklusivität, hervorgerufen durch eine unzureichende Gleichberechtigung, der im Vergleich zu anderen deutschen Städten etwas schlechtere Allgemeinzustand der Bewohner (der zu einer geringeren Lebenserwartung führt) und eine im Vergleich zu anderen Städten höhere Kriminalitätsrate.

Bei Frankfurt stechen auf der Habenseite der vielfältige Arbeitsmarkt, die hohe Innovationskraft und die Luftreinheit, die als eine der höchsten im Untersuchungsgebiet gilt, hervor. Auch wird die Geschlechtergerechtigkeit als verbesserungsfähig beschrieben, und gelten die Bevölkerungsdichte und die Kriminalitätsrate als hoch.

Ansätze selbst umsetzen

Cushman&Wakefield empfiehlt sich nun als (nicht uneigennütziger) Helfer, diese und andere Defizite zu beseitigen und die Städte inklusiver oder einfach lebenswerter zu machen. Die Ansätze können die Kommunen, aber auch Immobilieneigentümer und Investoren auch selbst umsetzen. Alle Betroffenen, neudeutsch Stakeholder, sollten an einen Tisch geholt und gemeinsame Ziele samt der Strategien, mit denen diese Ziele erreicht werden sollen, gefunden werden.

Social impact für Investoren

Investoren sollten den social impact in ihre Strategien integrieren, empfiehlt C&W. Der gesellschaftliche Nutzen sollte aber auch Richtschnur (wenn auch nicht alleiniger) des täglichen Handelns sein. Ein hehrer Anspruch, der sich sicherlich erst mittel- bis langfristig in einer Organisation umfassend umsetzen lässt. Ob dieser Kulturwandel ein Unternehmen allein schaffen kann, ist zweifelhaft. Zumindest initiale Hilfe von außen dürfte in vielen Fällen unverzichtbar sein, um Städte in überschaubarer Zeit inklusiver und damit lebenswerter zu machen.

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