Finanzprodukte

Deutscher Finanzvertrieb hängt an Provisions­beratung

Aufsicht und Politik beäugen den provisionsbasierten Finanzvertrieb schon lange kritisch, die EU-Kommission erwägt wieder einmal ein Verbot. Doch in Deutschland sind Alternativen bisher kaum erprobt.

Deutscher Finanzvertrieb hängt an Provisions­beratung

Wieder einmal taucht die Idee eines Provisionsverbots im Finanzvertrieb auf: Das Regelwerk MifidII, so führte EU-Finanzmarktkommissarin Mairead McGuinness kurz vor Weihnachten aus, habe die unabhängige Wertpapierberatung offenbar nicht gestärkt. Finanzprodukte seien wegen der Rückvergütung an die Vermittler oft teuer und die Anreize für den Finanzvertrieb würden von vielen Menschen nicht verstanden, wie sie in einem Brief an den europäischen CSU-Abgeordneten Markus Ferber schrieb. Eine Honorarberatung sei in der Regel zu erschwinglichen Gebühren möglich.

Etwa zur selben Zeit schrieb die Finanzbranche einen öffentlichen Brief: Sieben europäische Branchenverbände – darunter die der Banken (EBF), Fondshäuser (Efama) und Versicherer (Insurance Europe) – warnen die EU-Kommission davor, private Anleger von einer Anlageberatung faktisch auszuschließen. Die Provisionsberatung sei zunächst kostenlos und Kleinsparer zahlten unterm Strich weniger als vermögende Personen, wie die Verbände argumentieren. Die Kosten würden auf diese Weise „sozialisiert“. Der Streit um die Provisionsberatung flammt immer wieder auf. Schon die Gesetzgebung und Detailarbeit an Mifid II hatte die Diskussion vor einigen Jahren aufkeimen lassen.

Ein Provisionsverbot ist zwar noch weit weg, doch es bleibt als Ultima Ratio eine Gefahr für die Branche. Die Kritik an der Vertriebspraxis ist verbreitet und trifft etliche Geschäftszweige. Zwar ist der zeitweilig diskutierte Provisionsdeckel für Lebensversicherer in Deutschland vorerst vom Tisch, doch die Finanzaufsicht BaFin adressiert Kosten und Vertriebsprovisionen mit neuen Wohlverhaltensregeln. Für das Segment der Restschuldversicherungen wiederum greift seit Mitte 2022 ein Provisionsdeckel von 2,5% der Kreditsumme. Der noch jungen Gruppe der Neobroker droht derweil ein europaweites Verbot von Provisionen für vermittelte Wertpapieraufträge, die als „Payment for Orderflow“ (PFOF) bekannt sind. Der Branche kommt aber zugute, dass EU-Staaten auf nationale Spielräume pochen und Deutschland ein Verbot skeptisch sieht.

Milliardenmarkt

Für die Finanzbranche steht ein milliardenschweres Geschäft auf dem Spiel. Allein die vier großen Fondsanbieter DWS, Allianz Global Investors, Union Investment und DekaBank weisen für das Jahr 2021 jeweils eine Milliardensumme als Provisionsaufwand aus – darunter fallen auch Vergütungen für Vertriebspartner. Auch Versicherer geben viel Geld für den Vertrieb aus. Die Allianz etwa wies für das Jahr 2021 allein über die Beratungs- und Vertriebs-AG einen Provisionsaufwand von 1,47 Mrd. Euro aus. Über die Gesellschaft steuert die Allianz Deutschland den Vertrieb über Ausschließlichkeitsvermittler. Unter den Finanzvertrieben wiederum sticht die DVAG mit Umsatzerlösen von 2,24 Mrd. Euro im Jahr 2021 hervor. Und auch in der Kreditvermittlung fließen Provisionen. So weist die ING-Tochter Interhyp rund 241 Mill. Euro aus, die sie im Jahr 2021 für die Vermittlung von Baufinanzierung in Deutschland einnahm.

Kostenpflichtige Beratungsmodelle existieren, doch sie spielen eine geringere Rolle. Die Handelskammern zählten vor einem Jahr 39 084 Finanzanlagenvermittler, aber nur 256 Honorar-Finanzanlagenberater. Die Quirin Privatbank, die sich auf Honorarberatung spezialisiert, kam nach jüngsten Zahlen im Jahr 2020 auf einen Jahresumsatz von lediglich 49 Mill. Euro. Zwar haben einige große Anbieter kostenpflichtige Depotmodelle eingeführt, etwa die Commerzbank („Premium-Depot“), Targobank („Plus-Depot“), HypoVereinsbank („Depot Global“) und MLP („Vermögensmanagement“). Doch eine trennscharfe Alternative zur Provisionsberatung stellt das Angebot nicht da. Die Commerzbank und Targobank verzichten zwar auf separate Ausgabeaufschläge, doch die regelmäßigen Bestandsprovisionen kehren sie nicht aus. MLP wiederum reicht Bestandsprovisionen an die Anleger weiter, vereinnahmt aber den Ausgabeaufschlag. Immerhin reicht die HypoVereinsbank die Bestandsprovision eigenen Angaben nach an die Kunden weiter und sieht zugleich nur in Ausnahmen Ausgabeaufschläge vor.

Tatsächlich scheuen die meisten Menschen davor zurück, für eine Finanzberatung unmittelbar zu bezahlen. 74% der Deutschen, so ließ die Beratungsgesellschaft KPMG im Auftrag für Banken-, Fonds- und Zertifikatebranche ermitteln, wären nicht dazu bereit. In Großbritannien, wo laufende Vertriebsprovisionen verboten sind, bezieht laut Untersuchung der Finanzaufsicht FCA rund die Hälfte aller Erwachsenen mit mehr als 10000 Pfund investierbaren Vermögen keine Beratung oder vereinfachte Hilfe, in der Gesamtbevölkerung liegt der Wert bei zwei Dritteln. Wie hoch die Quoten ohne Verbot wären, lässt der Bericht offen.

Die Provisionsberatung steht insbesondere wegen des Interessenkonfliktes in der Kritik. Die Vermittler schlüpfen einerseits in die Rolle als Berater und andererseits als Verkäufer. Die Verbraucherzentralen sehen dabei eine „Informationsasymmetrie zulasten der Verbraucher“ und befürworten ein Verbot der Praxis.

Allerdings mangelt es an belastbaren Testergebnissen zur Qualität der Beratung. Die Stiftung Warentest etwa nahm die Bankberatung im Jahr 2015 ausführlich unter die Lupe. Die im Folgejahr veröffentlichten Noten für diverse Geldhäuser rangierten zwischen „gut“ bis „mangelhaft“. Die Risikoeinstufung der Kunden funktioniert demnach zwar fast durchweg gut, doch boten die Berater dafür nicht immer die passenden Produkte an. Auch bevorzugten die Geldhäuser vor allem hausverbundene Produkte und reichten in einigen Fällen die damals vorgeschriebenen Beratungsprotokolle nicht aus.

In einer kleineren und lediglich beispielhaften Untersuchung der Beratung zu nachhaltigen Fonds zeigte die Stiftung Warentest zuletzt, dass Banken zwar die passenden Angebote zum gewünschten Risikoprofil der Testkunden unterbreiteten, allerdings Wissenslücken zu nachhaltigen Fonds zeigten, wie ein im März 2022 veröffentlichter Bericht zeigt. Und auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin ist als Prüferin aktiv. Sie berichtete Ende 2021 für insgesamt 36 Testgespräche, dass die Berater in zwölf Fällen die notwendige Kosteninformation oder die Geeignetheitserklärung nicht ausreichten. Die Qualität der Beratung selbst stand jedoch nicht im Fokus der Untersuchung. In Kürze will die BaFin erneut über Testgespräche und über die Vertriebspraxis von Restschuldversicherungen berichten.

Nicht immer teurer

Provisionen machen die Produkte teurer – doch nicht immer muss das in Summe schädlich für Anleger sein. So vermitteln Baukreditplattformen laut einem Test der Stiftung Warentest per Anfang Februar Kredite mit geringeren Zinssätzen als im Durchschnitt, auch wenn einige Banken ebenfalls sehr günstig waren. Neobroker wiederum, die nach dem Payment-for-Orderflow-Modell Provisionen für Handelsaufträge erhalten, sind in der Orderausführung unter dem Strich manchmal teurer als etablierte Börsen, gerade bei kleineren Aufträgen für größere Dax-Titel aber manchmal eben auch billiger, wie die BaFin im April 2022 festhielt.

In der klassischen Lebensversicherung sind hohe Abschlussprovisionen ein Problem, denn sie führen zu einer starken Belastung der Kunden, falls sie den Vertrag frühzeitig kündigen, wie die BaFin erst am Donnerstag monierte. Kritisch beäugt die Aufsicht fondsgebundene Versicherungen, bei denen eine Minderheit der Anbieter mit besonders hohen Kosten auffällt und somit den Durchschnitt verzerrt. Im Fondssegment wiederum zeigen Untersuchungen, dass klassische Produkte auf lange Sicht häufig schlechter abschneiden als ETFs. Das liegt nicht allein an den Kosten einer aktiven Verwaltung, sondern gerade auch an den Vertriebskosten.

Die Finanzbranche hat aber ein Argument auf ihrer Seite, wenn sie auf die Verbreitung von Finanzberatung zielt. Für weniger wohlhabende Kunden sind die indirekt anfallenden Kosten geringer als in gebührenfinanzierten Modellen, wie KPMG beispielhaft im Auftrag der Finanzbranche durchrechnete. Die Kehrseite jedoch ist, dass Kunden mit besonders hohen Vermögen deutlich mehr bezahlen, als das bei einer Honorarberatung der Fall wäre. Das provisionsbasierte Modell funktioniert, weil zumindest einige Kunden das Ausmaß der Kosten offenbar nicht vor Augen haben.