Diamantenfieber in der Sanktionspolitik
Notiert in Brüssel
Diamantenfieber
Von Stefan Reccius
Das Unvermeidliche rückt näher. Seit Wochen verdichten sich die Hinweise, dass die Europäische Union mit dem mittlerweile zwölften Sanktionspaket aus Russland importierte Diamanten verbannen wird. Als Blaupause soll eine entsprechende Stellungnahme der G7 dienen, also der Gruppe der führenden Industriestaaten um Deutschland und Frankreich, mit der dieser Tage gerechnet wird.
"Russische Diamanten sind nicht für immer", paraphrasierte EU-Ratspräsident Charles Michel im September einen berühmten James-Bond-Titel. Belgiens Premierminister Alexander de Croo legte vor wenigen Wochen nach, man sei kurz davor, ein System zur Rückverfolgung von Diamanten fertigzustellen. Einen EU-Diplomanten zitierte die Nachrichtenagentur Reuters mit den Worten, zur Umsetzung brauche man den endgültigen Segen der G7.
Diamantenhauptstadt Antwerpen
Russland gilt als weltweit bedeutendster Produzent von Rohdiamanten. Die mit Abstand wichtigste Drehscheibe für die Weltmärkte wiederum ist die flämische Hafenstadt Antwerpen. Die belgische Regierung steht deshalb unter Druck der Branche, es mit Sanktionen nicht zu weit zu treiben. Exporteure aus Russland und ihre Geschäftspartner könnten nach Dubai abwandern und den Diamantenbann unterlaufen, so eine Befürchtung.
Für Handlanger Russlands in Antwerpen zieht sich die Schlinge zu. Die dort ansässige Firma Grib ist wegen ihres Russlands-Geschäfts auf einer Sanktionsliste des US-Finanzministeriums gelandet. Schmuckhändler wie Tiffany und Richemont wollen etwaigen Sanktionen zuvorkommen, indem sie auf Diamanten aus Russland verzichten oder ihre Lieferketten dahingehend inspizieren.
Ein Selbstläufer wird das zwölfte Sanktionspaket allerdings nicht, Einverständnis über die Nachverfolgung von Diamanten auf G7-Ebene hin oder her. Die technischen Feinheiten sind das eine, politische Gefolgschaft das andere. An Querschüsse von Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán gegen weitere Unterstützung zugunsten der Ukraine ist man in Brüssel inzwischen gewöhnt. Mit Robert Ficos Wahlsieg in der Slowakei wird der in der Außenpolitik erforderliche Konsens noch schwieriger werden: Fico ist auf Orbáns Anti-Ukraine-Linie.
Bewegung bei Zufallsgewinnen
Die Sanktionspolitik gegen Russlands verbrecherischen Angriffskrieg gegen die Ukraine lässt in Brüssel nicht nur das Diamantenfieber steigen. Die EU-Kommission hat es auch auf Erträge aus eingefrorenen russischen Staatsvermögen abgesehen. Vor der Sommerpause bremsten die EU-Staaten noch wegen rechtlicher Unwägbarkeiten, Bundeskanzler Olaf Scholz nannte die Operation "furchtbar kompliziert". EU-Kommissionschefin Ursula von der Leyen musste ihr Ansinnen zurückstellen.
Nun kommt plötzlich Bewegung in die Sache. Beim EU-Gipfel haben Scholz und die anderen Staats- und Regierungschefs die EU-Kommission aufgefordert, "entscheidende Fortschritte" zu erzielen. Ihr Auftrag: Die Behörde soll Wege finden, Einnahmen aus eingefrorenen Vermögen "in die Unterstützung der Ukraine und deren Erholung und Wiederaufbau" zu leiten. Das soll in Abstimmung mit Partnern und im Einklang mit Europa- und Völkerrecht geschehen, und zwar möglichst schnell.
Von der Leyen ließ sich nicht lange bitten: Man arbeite an einem Vorschlag, der sich zunächst auf die sogenannten Zufallsgewinne fokussiere, im Englischen "Windfall Profits". "Diese Zufallsgewinne sind bereits beträchtlich, und die Idee ist, sie zu bündeln und sie dann über den EU-Haushalt an die Ukraine und den Wiederaufbau der Ukraine weiterzuleiten", sagte von der Leyen.
Allein beim Wertpapierabwickler Euroclear mit Sitz im Brüssel sind russische Vermögenswerte im Wert von rund 200 Mrd. Euro eingefroren. Für die ersten drei Quartale hat Euroclear Sondererträge von 3 Mrd. Euro ausgewiesen. Dafür zahlt Euroclear knapp 800 Mill. Euro Steuern. Die belgische Regierung hat angekündigt, sie an die Ukraine weiterleiten zu wollen. Für die restlichen 2,2 Mrd. Euro gibt es hingegen bislang keine rechtlich saubere Handhabe.