Im BlickfeldLuxusgüterbranche

Die ausgelassene Party-Stimmung der Luxusgüterbranche ist vorbei

Der durch Covid ausgelöste Nachholbedarf flaut wieder ab, so dass sich das Wachstum der Luxusgüterhersteller verlangsamt. Während Hermès der Entwicklung trotzt, sucht Kering Belebung durch einen Einstieg bei Valentino.

Die ausgelassene Party-Stimmung der Luxusgüterbranche ist vorbei

Die große Luxus-Party nähert sich dem Ende

Der Nachholbedarf der Konsumenten nach der Covid-Pandemie scheint vorbei zu sein

Von Gesche Wüpper, Paris

Die exklusiven Handtaschen von Hermès sind keine Massenware, sondern werden in Frankreich in Handarbeit gefertigt.

Das Wachstum erschien einfach grenzenlos. Bisher. Weder die hohe Inflation noch der Ukraine-Krieg und Rezessionssorgen konnten den Luxusgüterherstellern etwas anhaben. Im ersten Halbjahr haben sie bis auf Kering erneut starke Zahlen verbucht. Doch nun mehren sich die Zeichen, dass die Party für sie bald zu Ende gehen könnte, dass das Wachstum der Branche einen Höhepunkt erreicht hat, vor allem in den USA. 

Zusammen mit China sind die Vereinigten Staaten der größte Markt für Luxusgüter, der wichtigste Wachstumsmotor der Branche. Branchenriesen wie LVMH und Co haben in den letzten Jahren auch von dem Nachholbedarf profitiert, den Verbraucher seit Covid an den Tag legten. Dieses Gefühl, sich nach den Corona-Beschränkungen etwas gönnen zu müssen, flaut inzwischen jedoch wieder ab. Amerikanische und chinesische Verbraucher werden wieder wählerischer. 

Das bekommen nun auch die Luxusgüterriesen zu spüren. Mehrere von ihnen berichteten über eine Abschwächung des Wachstums in den USA. Gleichzeitig fällt die Erholung des chinesischen Marktes nach der Lockerung der strengen Covid-Auflagen weniger kräftig als erhofft aus. Trotz neuer Rekordergebnisse wurde die Aktie der weltweiten Nummer 1 der Branche, LVMH, deshalb am Tag nach der Vorlage ihrer Halbjahresbilanz abgestraft, so dass ihr Kurs an der Börse von Paris um 5,2% einbrach.

Zwar konnte LVMH ihre Verkäufe im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 15% auf 42,2 Mrd. Euro steigern. Doch in den USA legten sie gerade mal 3% zu. Im zweiten Quartal gingen sie dort sogar um 1% zurück. Die Stimmung entspreche nicht mehr dem Revenge Buying, das 2021 und 2022 zu beobachten gewesen sei, sagt LVMH-Finanzchef Jean-Jacques Guiony. Es handele sich vor allem um eine Normalisierung. In den USA sei der Rückgang des Konsums in einigen Kategorien spürbar, doch es gebe keinen brutalen Schock. Es handele sich vor allem um die Verlangsamung des Konsums der Wunschkundschaft, hauptsächlich in mittleren Städten oder im Internet. 

Die Luxusgüterbranche ändere ihren Zyklus ein wenig, meint Analyst Luca Solca von Bernstein. „Wir erleben nach der Post-Covid-Euphorie eine Normalisierung.“ Das Wachstum sei immer noch da, meinen die Experten von Oddo BHF. Doch es überrasche nicht mehr. Da sich der Wachstumsrhythmus der Branche normalisiere, sei es aber nur logisch, dass das Überraschungspotenzial abnehme. 

Die Unternehmensberatung Bain und der italienische Luxusgüterverband Altagamma gehen in ihrer jüngsten, vor den Halbjahresergebnissen veröffentlichten Branchenstudie ebenfalls von einer Verlangsamung aus. Ihrer Ansicht nach dürfte der Umsatz in diesem Jahr je nach Konjunkturentwicklung 5% bis 12% zulegen, nachdem er sich 2022 um gut ein Fünftel auf 345 Mrd. Euro verbessert hat. Die Bain-Experten sind dennoch zuversichtlich für die kommenden Jahre. So glauben sie, dass das Marktvolumen der Branche bis 2030 auf bis zu 570 Mrd. Euro steigen könnte. 

Die Abschwächung des Wachstums dürfte den Blick von Investoren auf die Branche verändern, glauben Experten. Nachdem sie bisher positiven Überraschungen hinterhergejagt seien, könnten sie angesichts der Normalisierung des Verbraucherverhaltens auf mehr Gleichgewicht setzen, meint Bernstein-Analyst Solca. Der Übergang könnte zwar vorübergehend zu Turbulenzen führen, doch die Branche sollte bald wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen, außer es komme zu einer starken Rezession.

Die Experten von Oddo BHF erwarten für die Branche im zweiten Halbjahr zwar insgesamt durchwachsene Aussichten, doch sie halten Hermès nach wie vor für attraktiv. Die Nummer 3 der Branche von der Börsenkapitalisierung her war der einzige Luxusgüterkonzern, der jetzt für eine positive Überraschung gesorgt hat. Das für seine Kelly- und Birkin-Handtaschen bekannte Unternehmen hat seinen Umsatz im ersten Halbjahr um 22% auf 6,7 Mrd. Euro gesteigert und die operative Marge auf 44% verbessert.

„Es hat bei uns keine Normalisierung der Nachfrage wie bei anderen gegeben“, sagt Hermès-Chef Axel Dumas. „Alles, was wir produziert haben, wurde verkauft.“ Selbst in Amerika legten die Verkäufe 20,7% auf 1,2 Mrd. Euro zu. Zu verdanken hat Hermès das ihrem Alleinstellungsmerkmal mit oft in aufwendiger Handarbeit hergestellten und deshalb knappen Produkten, die umso mehr Begehrlichkeiten wecken. Die amerikanischen Kunden würden ihre Ausgaben wegen der wirtschaftlichen Unsicherheiten und des Endes der Konsumanreize der Covid-Zeit bremsen, erklären die Experten von Bain. „In diesem Umfeld konzentrieren amerikanische Luxusproduktkunden ihre Käufe auf Prestigestücke.“

Von einer solchen Positionierung kann Kering derzeit nur träumen. Die Mutter von Gucci, Yves Saint-Laurent und Bottega Veneta kommt seit Covid nicht richtig in Schwung. Im ersten Halbjahr konnte sie ihren Umsatz um gerade mal 2% auf 10,1 Mrd. Euro steigern. Damit nicht genug, denn die Verkäufe Guccis verringerten sich um 1% auf 5,1 Mrd. Euro. Kering hat deshalb bereits vor der Veröffentlichung der Bilanz die Reißleine gezogen und die rechte Hand von Konzernchef François-Henri Pinault, Jean-François Palus, für eine Übergangszeit an die Spitze der Marke berufen. Der Konzern hat erst zu Anfang des Jahres Sabato Sarno als neuen Chefdesigner von Valentino zu Gucci geholt. Er soll seine erste Kollektion im September präsentieren.

Zur Belebung des Geschäfts setzt Kering nun verstärkt auf Akqusitionen. Nach der Übernahme des Sonnenbrillenherstellers Maui Jim und des Parfümproduzenten Creed ist die Gucci-Mutter jetzt ins Kapital von Valentino eingestiegen. Für mehr als 1,7 Mrd. Euro hat sie eine Beteiligung von 30% erworben und sich die Option gesichert, das Modehaus 2028 komplett übernehmen zu können. Im Gegenzug könnte sich Valentino-Besitzer Mayhoola, ein Fonds der Herrscherfamilie Katars, an Kering beteiligen.

Bei dem Luxusgüterkonzern ist erst kürzlich der aktivistische Fonds Bluebell eingestiegen. Er hält weniger als 5%, dürfte jedoch Druck auf Kering-Chef Pinault machen. Der hat bisher nur wenig von seiner künftigen Strategie preisgegeben – etwa wann eine dauerhafte Lösung für die Leitung von Gucci gefunden werden soll.