Paris

Die Bulles von Angoulême

Comics kennen keine Krise. Die Branche hat 2022 in Frankreich ihr zweitbestes Jahr verbucht. Dabei steigt der Anteil von Mangas, für die Frankreich inzwischen der zweitwichtigste Markt nach Japan ist.

Die Bulles von Angoulême

Unfassbar“, schrieb ein deutscher Bekannter auf Facebook. Halb Frankreich sei beim Comic-Festival in Angoulême. „Die Jugend liest und nutzt Print“, begeisterte er sich. Tatsächlich genießen Comics in der französischen Kultur eine Ausnahmestellung. Sie gehören zur Lebensart und sind fester Bestandteil der Kultur, für die es in Buchhandlungen eigene Abteilungen gibt. Und Angoulême, eine 120 Kilometer nordöstlich von Bordeaux gelegene Stadt mit gerade mal 42000 Einwohnern, die Wes Anderson als Kulisse für „The French Dispatch“ diente, gilt als Hauptstadt der Comic-Kultur. Immerhin gibt sich dort jedes Jahr Ende Januar alles, was in der Szene Rang und Namen hat, ein Stelldichein. Rund 200000 Besucher kamen jetzt zum 50. Comic-Festival, nachdem es wegen Corona 2021 abgesagt und 2022 hatte verschoben werden müssen.

Comics kennen keine Krise. Zwar sind 2022 in Frankreich etwas weniger Comic-Bände verkauft worden, nachdem die Branche wegen Covid extrem hohe zweistellige Wachstumsraten verzeichnet hatte. Doch vom Wert her hat sie nach Angaben von GfK Market Intelligence das zweitbeste Jahr ihrer Geschichte verbucht. Und das sogar ausgerechnet in einem Jahr, in dem kein neuer Asterix-Band auf den Markt gekommen ist. Die Abenteuer des Galliers sind traditionell eines der Zugpferde der Comic-Branche, da viele Franzosen die Buchhandlungen mit weiteren Comics verlassen, wenn sie den neuesten Asterix kaufen gehen. Die Asterix-Bände sind seit 2013 nur noch in ungeraden Jahren erschienen.

Der Umsatz der französischen Comic-Branche verringerte sich letztes Jahr von 924,6 Mill. Euro auf 921 Mill. Euro, während die Verkäufe vom Volumen her um 3,3% auf 84,6 Millionen Exemplare sanken. Der größte Verkaufserfolg war 2022 der bei Dargaud er­schienene Comic „Le Monde sans fin“ (Die Welt ohne Ende) von Christophe Blain und Jean-Marc Jancovici, von dem 514000 Ex­emplare verkauft wurden und damit mehr als von jedem anderen Buch. In dem fast 200 Seiten starken Band erklären der Comic-Zeichner Blain und der Gründer des Thinktanks The Shift Project den Klimawandel und welche Lösungen es gibt, um die Folgen zu mildern.

Gleichzeitig setzen Mangas ihren Siegeszug weiter fort. Ihr Marktanteil beträgt inzwischen vom Volumen her 57%, nachdem er 2019 noch bei 39% lag. Comics selbst machen in Frankreich 25,2% des Buchmarktes aus. Innerhalb von zehn Jahren hat sich der Anteil der Mangas vervierfacht, so dass Frankreich inzwischen der zweitwichtigste Markt für Mangas nach Japan ist. Letztes Jahr wurden für mehr als 381 Mill. Euro Mangas verkauft. Mehr als jedes vierte in Frankreich verkaufte Buch sei inzwischen ein Manga-Comic, erklärt Casseline Rosello von GfK. Es würden mittlerweile fast genauso viele Mangas wie klassische Literatur verkauft. Sowohl vom Volumen als auch vom Umsatz her hätten Mangas die Jugendliteratur bereits überholt. Besonders beliebt sind die auf Jungen zugeschnittenen Shonen-Mangas, die 43% der Comic-Verkäufe in Frankreich ausmachen. Bei dem diesjährigen Comic-Festival, zu dem etliche Manga-Fans verkleidet als ihre Helden kamen, gab es in einem riesigen Zelt sogar eine eigene Manga City. Und in einer angrenzenden früheren Halle der Bahn wurde die Atmosphäre einer asiatischen Stadt nachempfunden.

In dem Département Charente, dessen Hauptstadt Angoulême ist, gibt es seit 2019 sogar eine eigene Währung, deren Name „Bulle“ (Blase) an Comics erinnert. 285000 Bulles sind dort derzeit im Umlauf. Genutzt wird die lokale Währung von 5011 Privat­personen und 272 Geschäftsleuten. Acht Gemeinden machen bereits mit, sieben weitere sind offenbar interessiert. Zu Erfolg hat der lokalen Währung eine Aktion des Großraums Angoulême verholfen, denn er hat den 4500 Personen, die bei den Covid-Impfkampagnen geholfen haben, Ende 2021 als Dank Gutscheine im Wert von 50 Bulles geschenkt. Insgesamt hat sich die Gebietskörperschaft die Aktion 180000 Euro kosten lassen, davon 18000 Euro für die Übernahme der Gebühren für Geschäfte, die bei der lokalen Währung mitmachen. Waren es vorher gerade mal 80, sind es inzwischen 250.