Die Gründerszene muss Farbe bekennen
Der Rotstift
reicht nicht
Start-ups
Die Zukunft deutscher Start-ups hängt nicht nur an der Rentabilität. Die Szene muss auch politisch Stellung beziehen.
Von Karolin Rothbart
Die deutsche Gründerszene blickt angesichts globaler ökonomischer Widrigkeiten erneut auf ein schwieriges Jahr zurück. Investitionen in hiesige Start-ups sind 2023 um fast 40% eingebrochen, wie eine EY-Studie zeigt. Damit reiht sich die Bundesrepublik zwar einigermaßen in den weltweiten Durchschnitt ein. Es dürfte dennoch ein schwacher Trost für all jene Jungfirmen sein, die im vergangenen Jahr in die Insolvenz gerutscht sind.
Die Frage ist nun, wie es weitergeht. Folgt auf die schon zwei Jahre dauernde Marktkorrektur bald eine Trendwende oder müssen sich Gründer und Gründerinnen künftig auf noch mehr Schwierigkeiten bei der Kapitalbeschaffung einstellen? Und was kann das Ökosystem selbst tun, um die Investitionsbereitschaft strategischer und renditeorientierter Geldgeber zu steigern?
Dass die Antwort auf Letzteres zu einem großen Teil in der Konzeption nachhaltig profitabler Geschäftsmodelle liegt, ist bekannt. Mit der Zinswende hat sich der Fokus von Wagniskapitalinvestoren deutlich verschoben – weg von wachstumsorientierten hin zu gewinnorientierten Beteiligungen. Start-ups arbeiten daran. Im vergangenen Jahr kam es vielfach zu Stellenstreichungen, und auch im neuen Jahr wollen die Unternehmen laut Umfragen bei der Erweiterung ihrer Belegschaften auf die Bremse treten.
Doch mit Betriebswirtschaft allein ist es nicht mehr getan. Die Zukunft deutscher Start-ups – und ihrer Geldgeber – dürfte zunehmend auch von politischen Faktoren bestimmt werden, auf die die Szene ebenfalls eine Antwort finden muss. Ein akutes Beispiel sind die Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über Abschiebefantasien hochrangiger AfD-Mitglieder. Solche menschenverachtenden Gedankenspiele deutscher Politiker werden auch im Ausland wahrgenommen – und könnten den Ruf der Bundesrepublik als weltoffener Innovationsstandort noch massiv gefährden.
Die Start-up-Branche sollte vor dem Hintergrund das machen, was sie ohnehin schon ziemlich gut kann: Laut sein, nur eben politisch. Jungfirmen und Organisationen wie etwa der Startup-Verband oder der Bundesverband Beteiligungskapital müssen sich noch viel häufiger öffentlichkeitswirksam gegen die demokratie- und wirtschaftsfeindlichen Strömungen im Land positionieren und Wege finden, die Bedeutung von Zuwanderung für den Start-up-gemachten Wohlstand endlich in die Köpfe der Leute zu kriegen. Mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen in Brandenburg, Thüringen und Sachsen, wo die AfD nach derzeitigem Stand weit vorn liegt, bleibt dafür nicht mehr viel Zeit.