Vor dem EU-Gipfel

Die Krux mit den Energie­preisen

Will die EU resilienter in der Energieversorgung werden, muss sie unabhängiger von Importen werden und die erneuerbaren Energien beschleunigt ausbauen. Auf dem EU-Gipfel in dieser Woche wird es allerdings keine konkreten Antworten auf die jüngste Explosion der Energiepreise geben.

Die Krux mit den Energie­preisen

Nach den Finanzministern, dem Europaparlament und der Europäischen Kommission werden sich in dieser Woche auch die EU-Staats- und Regierungschefs noch einmal mit den explodierenden Energiepreisen beschäftigen. Doch niemand sollte sich von dem Gipfel am Donnerstag und Freitag in Brüssel zu viel erwarten: Nach allem, was im Vorfeld bereits zu hören ist, wird es auch hier keine konkreten Entscheidungen geben, die besonders betroffene Bürger oder Unternehmen schnell entlasten. Die Chefs werden die Sorgen mit den hohen Energiepreisen zwar in ihrer Abschlusserklärung anerkennen, ansonsten aber wohl den von der EU-Kommission vorgeschlagenen Mix an kurz-, mittel- und langfristigen Maßnahmen loben. Die Verantwortung für eine rasche Abfederung der Belastungen wird damit auch der Europäische Rat auf Seiten der nationalen Regierungen sehen.

Ein solches Gipfelergebnis wäre nicht überraschend, sind die energiepolitischen Interessen der EU-Staaten doch nach wie vor viel zu unterschiedlich, um gemeinsame Ad-hoc-Beschlüsse fassen zu können. Eine „europäische Energieunion“, wie sie einst von der Juncker-Kommission werbewirksam verkündet wurde, besteht ja allenfalls auf dem Papier. Und ein solches Gipfelergebnis wäre auch nicht unangemessen. Ein Marktversagen, das überhastete Schnellschüsse und Strategieänderungen rechtfertigen würde, ist nicht zu erkennen – auch wenn die heutigen Strom- und Gaspreise natürlich vielen Unternehmen und privaten Haushalten wehtun.

So hat sich etwa das aktuelle europäische Strommarktdesign nach Ansicht der meisten Experten bislang bewährt und durchaus kosteneffizient die Einspeisung der verschiedenen Erzeugungsarten organisiert. Forderungen nach einem Systembruch im Zusammenhang mit einer Entkopplung von Strom- und Gaspreisen und einer Rückbesinnung auf nationale Stromerzeugungskosten sind schnell als nationale Interessenpolitik durchschaubar: Frankreich möchte mit einem solchen Vorstoß der heimischen Atomkraft eine neue Bedeutung geben. Und Spanien will vom starken Anteil der erneuerbaren Energien stärker profitieren.

Auch andere Vorschläge in der Energiepreis-Debatte sind mit Vorsicht zu genießen: So ist beispielsweise die Idee des gemeinsamen Gaseinkaufs ebenfalls nicht neu und in den vergangenen Jahren immer wieder einmal diskutiert worden. Und in der Theorie hört sich die Bündelung von Einkaufsmacht ja auch gut an. Doch wer kauft in Europa denn das Erdgas von den Produzenten? Es sind doch nicht die nationalen Regierungen, sondern private Unternehmen. Und das macht die Sache gleich viel komplizierter. Der Appetit, einen gemeinsamen Einkauf auf europäischer Ebene zu organisieren, scheint in den Mitgliedstaaten auch jetzt nicht besonders groß zu sein.

Ähnliches gilt für das Thema Gasspeicherung. Auch dies ist in der EU Sache der Privatwirtschaft. Sollte die öffentliche Hand tatsächlich in das Speichergeschäft einsteigen beziehungsweise wie beim Öl eine strategische Reserve aufbauen? Der Effekt auf Preise und Versorgungssicherheit wäre sicherlich überschaubar.

Um eine angemessene europäische Reaktion auf den rapiden Anstieg der Energiepreise der letzten Monate finden zu können, sollten erst einmal die Ursachen klar sein. Und die haben vor allem mit der weltweiten Konjunkturerholung nach der Coronakrise und dem starken Nachfrageanstieg insbesondere in Asien zu tun. Das Wetter im letzten Winter und im Sommer spielte ebenfalls eine Rolle, ebenso die Entwicklung der CO2-Preise. Wie groß die Marktmanipulation durch Russland war, sei vorerst einmal dahingestellt. Dies will Brüssel noch genauer untersuchen. Klar scheint aber: Will sich die EU auf dem Energiemarkt resilienter aufstellen und Preisexplosionen wie jetzt in Zukunft vermeiden, muss sie sich unabhängiger von Energieimporten machen. Und dies führt unweigerlich zu einem beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien.

Das hierzu notwendige Gesetzespaket liegt seit Juli auf dem Tisch und heißt „Fit for 55“. Es wird in den nächsten Monaten innerhalb der EU aber noch für viel Streit sorgen – insbesondere bei der CO2-Bepreisung. Aus Angst vor neuen „Gelbwesten“ lehnen etwa Frankreich, aber auch Länder wie Polen, Ungarn und Bulgarien den geplanten neuen Emissionshandel für Verkehr und Gebäude strikt ab. Die jetzigen Preisexplosionen bei Strom und Gas, beim Rohöl und bei Benzin und Diesel werden diese Diskussionen nicht einfacher machen – selbst wenn die Preise nichts mit dem Green Deal zu tun haben.                  

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