Brüssel

Die lange Mängelliste des Brexit-Deals

Der Ratifizierungsprozess des EU-Handelsabkommens mit Großbritannien läuft auf Hochtouren. Das Europaparlament bastelt noch an einer langen Resolution, in der es auch um die Fehler des Deals gehen soll.

Die lange Mängelliste des Brexit-Deals

Während die Umsetzung des erst Ende Dezember vereinbarten Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der EU und Großbritannien an allen Ecken und Enden quietscht und bereits wöchentliche Krisentreffen auf der Agenda stehen (siehe Seite 6), arbeitet das EU-Parlament weiter daran, den Vertrag erst einmal zu ratifizieren. Zwar rechnet niemand damit, dass die Abgeordneten das Abkommen noch zu Fall bringen. Im bisherigen Abstimmungsprozess innerhalb des Parlaments hat auch keiner der insgesamt 18 (!) mit dem Thema befassten Ausschüsse für eine Ablehnung plädiert. Aber die Mängelliste, die die Abgeordneten bereits aufgestellt haben, ist lang. Geplant ist daher, zusätzlich zur Ratifizierung auch noch eine Resolution zu verabschieden, in der die wesentlichen Fehler und Versäumnisse noch einmal angesprochen sowie eine effiziente Umsetzung und parlamentarische Kontrolle angemahnt werden. Nach derzeitigem Stand – eine erste Rohfassung liegt bereits vor – wird allein diese Resolution (ohne die angehängten Mitteilungen der Fachausschüsse) deutlich über 20 Seiten umfassen.

*

Federführend für den ganzen Ratifizierungsprozess im Europaparlament sind die Ausschüsse für Auswärtiges und für internationalen Handel unter der Leitung der zwei Niedersachsen David McAllister (CDU) und Bernd Lange (SPD). Wann es allerdings genau zur Abstimmung kommen wird, ist noch unklar. Zwar haben die Fraktionsvorsitzenden gestern noch einmal den bisherigen Zeitplan bestätigt, der ein Votum am 23. Februar vorsieht. Da die EU-Kommission in dieser Woche aber den Vorstoß gemacht hat, die vorläufige Anwendung des Handels- und Kooperationsabkommens noch einmal um zwei Monate bis zum 30. April zu verlängern, könnte auch das weitere Ratifizierungsverfahren noch einmal gestreckt werden. Entschieden wird eine Verlängerung allerdings gemeinsam von Brüssel und London im sogenannten Partnerschaftsrat, der vor dem Abkommen eingeführt wurde – dieser ist bisher aber noch gar nicht arbeitsfähig, weil beispielsweise Großbritannien noch keinen Vertreter für das neue Gremium benannt hat. Innerhalb des EU-Parlaments wird zudem schon spekuliert, dass London den Brüsseler Wunsch nach Verlängerung wohl kaum ohne ein Zugeständnis in einem anderen Bereich erfüllen wird.

*

Da das EU-Parlament das eigentliche Handelsabkommen nur noch billigen, aber nicht mehr nachbessern kann, haben sich viele Ausschüsse in ihren Bewertungen bereits auf Forderungen an die anderen EU-Institutionen konzentriert. Beispiel Wirtschafts- und Währungsausschuss (Econ): Dieser verlangt in einem sechsseitigen Brief an das Duo McAllister/Lange unter anderem, dass die EU-Kommission sich die Steuer- und Anti-Geldwäsche-Gesetzgebung in Großbritannien sehr genau anschauen soll, bevor sie dem britischen Finanzsektor neue Zugänge zum EU-Binnenmarkt gewährt. Nicht nur die Grünen im Econ bemängeln, dass das Handelsabkommen es versäumt habe, gemeinsame Standards im Kampf gegen Steuervermeidung und Finanzkriminalität in die Zukunft fortzuschreiben. Der Ministerrat wird zugleich aufgefordert, Großbritannien auf die schwarze Liste der Steueroasen zu nehmen. Einen Marktzugang für britische Firmen ohne Eingriffsmöglichkeiten der europäischen Aufsichtsbehörden lehnt der Econ ab.

*

Die Mitgliedstaaten müssen jetzt erst einmal ihre juristischen Detailprüfungen des Abkommens in den jeweiligen Landessprachen ab­schließen. Erst dann erfolgt quasi eine Einladung an das EU-Parlament, den Vertrag zu ratifizieren. Wann auch immer dies geschieht: Die Umsetzung bleibt ein „work in progress“, wie auch der Econ-Ausschuss in seinem Brief betont. Denn bei vielen der führenden Abgeordneten hat sich nach der bisherigen Prüfung der Eindruck verfestigt: Dieses Abkommen hat so viele lose Enden, dass es Ende Dezember eigentlich noch gar nicht fertig verhandelt war.