Die Leiden der jungen Werder
Nein, keine Sorge, es geht in dieser Kolumne nicht um Fußball. Oder zumindest nur sehr indirekt. Denn die Wandbemalung, die den Anlass für den Titel geboten hat, habe ich auf dem Weg zum Hallenfußball in einem Schulhof entdeckt. Dort hatten Schüler die Betonwände mit Impressionen aus dem Unterricht verschönert. Der ohnehin schwer ins Bild zu setzende Deutschunterricht wurde durch das Porträt eines Buches symbolisiert: „Die Leiden des jungen Werter“. Also – wenn schon falsch schreiben, dann richtig falsch: „Die Leiden der jungen Werder“. Das hätte dem Titel wenigstens noch eine neue Bedeutung verliehen. War übrigens in der Goete-Schule.
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Zugegeben, über die mangelnde Begeisterung vieler Zeitgenossen für die deutsche Rechtsschreibung (uups – natürlich Rechtschreibung) ist schon so oft geschrieben, geklagt und gespottet worden, dass man es nicht mehr hören und lesen mag. Aber es soll hier ja auch nicht darum gehen, dass es vielen schwerfällt, unfallfrei so schwierige Worte wie „Gallerie“, „paralel“, „Kollission“ oder „Karrusel“ aufzuschreiben oder einzutippen. Sondern es geht darum, dass es mitunter in der Kommunikation am Arbeitsplatz schwerfällt, zu verstehen, was die Gegenpartei eigentlich möchte.
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In „Woody, der Unglücksrabe“ hat Woody Allen einmal die surreale Situation erfunden, dass ein Banküberfall an der Orthografie scheitert. Denn der bedrohte Bankangestellte kann die Schrift des Bankräubers nicht entziffern: „Benützen Sie sich unauffällig! Ich habe meine Waffel auf Sie gerichtet!“. An diese Filmszene fühlt man sich im beruflichen, aber eben nicht automatisch auch professionellen Schrift- oder Mailverkehr immer mal wieder erinnert. Etwa, wenn das Bewerbungsschreiben für die Stelle des Redakteurs bereits auf der Aufschlagseite acht Schreibfehler enthält. Oder wenn in der Interviewanfrage der PR-Agentur ein Gespräch mit einem Manager in Aussicht gestellt wird, dessen Name in drei verschiedenen Varianten geschrieben ist.
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Immerhin lässt sich in diesen Fällen noch einigermaßen erahnen, was der Anfragende im Sinn hat. Schwieriger wird es in der elektronischen Post, wenn Absender besondere Freude an Abkürzungen haben und davon ausgehen, dass alle anderen auf der Welt diese Akronyme spielend entziffern können: „Just FYI: Zum Vorschlag der GL sage ich: NAA!“ (für alle, die mit der Buchstabensuppe nicht so vertraut sind: In diesem Falle wollte der Kollege vertrauensvoll signalisieren, dass er mit den Ideen der Chefetage nicht einverstanden ist).
Zusätzlich problematisch ist der immer häufiger übliche Verzicht auf die Identifizierung des Absenders durch seine Unterschrift: „Können wir heute um 15 Uhr telefonieren?“ Wenn man dann zurückfragt, wer denn bitte schön um drei Uhr telefonieren möchte, ist mancher Kollege oder Geschäftspartner geradezu beleidigt: „Was denn, hast Du meine Nummer denn nicht in Deinem Handy eingespeichert?“ Nö! Manch einer scheint dadurch gekränkt wie ein Schuljunge, der als einziger in der Klasse nicht zum Geburtstag eingeladen wird. Auch die Ablehnung ihrer Kontaktanfrage bei Linkedin gilt vielen als grobe Unfreundlichkeit. Wirklich? Das Konto auf einer sozialen Plattform ist doch kein Freundebuch.
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Kommunikation im Büro kann schließlich dann richtig kompliziert werden, wenn Ansprechpartner sehr leichtfertig mit der „Allen antworten“-Taste umgehen oder es für besonders effizient halten, stets einen großen Verteiler zu beteiligen. Das ist schließlich so, als würde man ein Gespräch mit Kollegen live im ganzen Haus übertragen. Da ist dann häufig doch der vertrauliche, persönliche Austausch in der unwirtlichen Teeküche zu bevorzugen – trotz muffigen Geruchs und dreckigen Geschirrs. Denn da passen ja, selbst wenn man sich drängelt, immer nur eine Hand voll Kollegen rein.