Frankfurt

Die Musik der Zeichen­setzung

„Steaks, mariniert vom Schwein“ – ein Komma zu viel oder zu wenig kann einiges durcheinanderwirbeln. Im Bankenviertel gibt es mittlerweile viele, die sensationelle Compliance-Kenntnisse haben. Aber doch lieber den Senior der Bank bitten, das Anschreiben ans Family Office zu verfassen, weil sie mit Komma und Gedankenstrich weniger gut vertraut sind als mit Mifid und Basel.

Die Musik der Zeichen­setzung

Einige sagen: Interpunktion wird überschätzt. Andere halten da­gegen: Zeichensetzung kann sogar Leben retten. Schließlich mache es manchmal einen Riesenunterschied, wo ein Häkchen gesetzt wird: „Komm wir essen, Opa!“ oder „Komm, wir essen Opa!“

Im Internet wimmelt es mittlerweile an Anschauungsunterricht, was ein Komma – oder eben ein fehlendes Komma – alles anrichten kann. Von „Er will sie nicht“ und „Er will, sie nicht“ bis hin zu „Steaks, mariniert vom Schwein“.

Und trotz all dieser Missverständlichkeiten durch leichtfertigen Umgang mit Satzzeichen gilt es fast schon als kleinlich, wenn man sich doch noch die Mühe macht, Fragezeichen, Punkt und Komma an den richtigen Stellen zu setzen – oder gar ein Semikolon (was fast schon als Feuilleton gilt). Bei einem nicht unerheblichen Teil der elek­tronischen Post, die man jeden Tag erhält, gewinnt man vielmehr den Eindruck, dass Satzzeichen mittlerweile eher dem Rhythmus der Atmung des Schreibenden folgen als den Gesetzen der Rechtschreibung. Einige Verfasser entwickeln eine geradezu eigene Melodie, eine eigene Tonalität – quasi, eine ganz eigene, Musik, der Zeichensetzung.

Wohlgemerkt: Die Rede ist hier nicht von flapsigen, privaten Zurufen per Whatsapp, sondern von Pressemitteilungen oder anderem Geschäftsverkehr. Das wiederum dürfte damit zusammenhängen, dass in der Finanzbranche heute Fachwissen in Compliance viel mehr zählt als die Kenntnisse der Rechtsschreibung. Oh, Verzeihung: Rechtschreibung.

Das bringt ganz neue Chancen für alte Hasen in den Banken mit sich. Vor wenigen Tagen berichtete ein Senior Banker, dass seine jungen Kollegen zwar exzellent Number Crunching und Excel-Akrobatik beherrschten, ihn aber regelmäßig ansprächen, wenn es um Anschreiben an Family Offices oder Mittelständler ginge, weil sie ihm mehr sprachliche Varianz und Sorgfalt zutrauten. Auch beim Ausfüllen der Meldeformulare für die Aufsicht sei er gefragt, berichtet ein anderer langjähriger Banker. Zugegebenermaßen ist es ja auch ärgerlich, dass die elektronischen Templates streiken, wenn man die Fragen mit Emojis beantworten will.

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Was für die Interpunktion gilt, gilt natürlich auch für die Groß- und Kleinschreibung, die mancherorts einer fast-immer-kleinschreibung gewichen ist. Auch hier veranschaulicht der Blick ins Netz die Fallstricke: „der gefangene floh“ ist beim Verzicht auf Großbuchstaben ebenso zweideutig wie der Hinweis, dass „ich beim blick aus dem fenster den geliebten rasen sehen kann“ oder dass ich „in berlin liebe genossen habe“.

Besonders tückisch ist es schließlich, wenn zwar Orthografie und Interpunktion stimmen, aber die Sprachbilder haarscharf danebengehen. Etwa, wenn es im Marktbericht heißt: „Die Vorgaben der Wall Street hatten den deutschen Aktienmarkt bereits unter Druck gesetzt. Dann kamen unerwartet negative Unternehmensergebnisse hinzu. Das war der Funke, der das Fass zum Überlaufen brachte.“