Die neue Kartenwelt
Immer seltener hält man physisch eine Zahlungskarte in der Hand. Stattdessen wird das Smartphone beim Einkauf vor Ort einfach ans Terminal gehalten und schon ist eine kontaktlose Zahlung erfolgt. Bei Online-Käufen wird das E-Wallet mobilisiert, und im Hintergrund läuft die Zahlung ab. Verschwinden Karten dadurch aus der Zahlungsverkehrslandschaft? Diesen Eindruck kann man durchaus gewinnen, doch er täuscht.
Ein Blick zurück: Die Marktmacht der US-Anbieter Mastercard und Visa war der EU lange ein Dorn im Auge insbesondere aufgrund der hohen Interchange-Gebühren, die durch EU-Verordnung inzwischen europaweit gedeckelt sind. Zugleich haben sich europäische Banken von ihren Beteiligungen an Zahlungsdienstleistern getrennt, was ihnen half, die von der Finanzkrise gerissenen Löcher in der Bilanz zu stopfen. Geld für Investitionen oder Innovationen im Zahlungsverkehr war gerade in der deutschen Kreditwirtschaft kaum vorhanden. Der Zahlungsverkehr rückte ins Abseits.
In diesem Vakuum haben Mastercard und Visa ihre Innovationen vorangetrieben, von denen der Zahlungsverkehr heute profitiert: Die Zahl der Akzeptanzstellen für Kartenzahlungen ist um ein Vielfaches erweitert, die Sicherheit durch Verschlüsselungs- und Authentifizierungstechnologien auf ein Höchstmaß getrieben und neue mobile und digitale Zahlmethoden sind mit unermüdlichem Aufwand eingeführt worden, darunter die so beliebten kontaktlosen Zahlungen.
Nun hat sich das Blatt gewendet, und der Zahlungsverkehr rückt wieder in den Fokus der Banken, weil er eine zentrale Schnittstelle zum Kunden ist, die infolge der europäischen Zahlungsdiensterichtlinie PSD2 auch für externe Anbieter zu öffnen ist. Da schrillen die Alarmglocken, denn Banken müssen befürchten, ihre Kundenverbindung, die bisher über Filialen gepflegt werden konnte, an bankfremde Anbieter – auch aus dem europäischen Ausland – zu verlieren, die mit der Präsenz allein in einem EU-Land dank der PSD2 hier grenzüberschreitend operieren und direkt aufs Konto zugreifen können. Traditionelle Banken haben plötzlich erkannt, dass Zahlungskarten, die sie an ihre Kunden ausgeben, eine wichtige Schnittstelle zum Kunden und damit ein idealer Anker zur Kundenbindung sind. Inzwischen boomen Kartenzahlungen insbesondere aufgrund von kontaktlosen Zahlungen infolge der Corona-Pandemie. Ohne Karten geht es nicht, doch sie werden unsichtbar. Zahlt der Kunde kontaktlos vor Ort mit dem Smartphone, läuft die Zahlung über eine einmalig hinterlegte Karte automatisch nur noch im Hintergrund ab. Und die Wachstumsprognosen sind hoch.
Die Karte soll beabsichtigt unsichtbar sein und lediglich als Zugang zum Konto bei einer Bank dienen, die im Vordergrund stehen möchte – und nicht der Kartendienstleister, dessen Logo kaum noch zu finden ist. Banken nutzen lieber den starken Markennamen von Apple: Der Kunde denkt, er zahlt mit Apple Pay, tatsächlich zahlt er jedoch mit Karte, denn Apple Pay ist kein Zahlungsanbieter, sondern fungiert nur als Schnittstelle zum Bankkonto. Das Smartphone wird so in eine kontaktlose, unsichtbare Zahlungskarte umfunktioniert. Kartenzahlungen können auch einen Boom durch E-Autos erleben, weil öffentlich zugängliche Ladesäulen zum Aufladen von E-Autos ab Mitte 2023 mit Kartenterminals zum Bezahlen per Kredit- und Debitkarten ausgerüstet sein müssen, wie der Bundesrat jüngst beschlossen hat.
Für Banken bedeutet das boomende Kartengeschäft eine sprudelnde Ertragsquelle. Kartenausgebende Banken profitieren von der Interchange, die sie bei jeder Transaktion erhalten, weil sie vom Betrag abgezogen wird, der an den Händler geht. Auf der Händlerseite wird das Kartengeschäft ebenfalls wieder interessant für Banken, denn als Bank des Händlers, die die Zahlungsannahme ermöglicht, erhält sie eine Gebühr vom Händler. Fungiert die Bank auf Händlerseite zudem als Payment Service Provider, über den auch andere Abrechnungsmethoden digitaler Einkäufe laufen können, gibt es noch mehr Gebühreneinnahmen.
Um alle gängigen Zahlungsverfahren anbieten zu können und die eigene Attraktivität zu erhöhen, erweitern Banken ihren Zahlungsverkehr zu Plattformen, auf denen auch bankfremde Services angeboten werden können. Denn die nächsten Innovationen im Zahlungsverkehr stehen parat: Angefangen von Instant Payment bis hin zu Blockchain-basierten Möglichkeiten. Inwieweit diese Karten verdrängen, hängt nicht zuletzt von den Gebühren ab, die Kunden und Händlern berechnet werden.