LEITARTIKEL

Die neuen Ölbarone

Es ist Halbzeit in der US-Berichtssaison und vor allem der Technologiesektor hat sich besser als erwartet geschlagen. Neun von zehn Unternehmen aus der Branche haben die Analystenschätzungen übertroffen. Kein anderer Sektor sorgte in der laufenden...

Die neuen Ölbarone

Es ist Halbzeit in der US-Berichtssaison und vor allem der Technologiesektor hat sich besser als erwartet geschlagen. Neun von zehn Unternehmen aus der Branche haben die Analystenschätzungen übertroffen. Kein anderer Sektor sorgte in der laufenden Kampagne bislang häufiger für positive Überraschungen. Sogar der Kurznachrichtendienst Twitter, seit dem Börsengang vor vier Jahren eine fortgesetzte Enttäuschung für Investoren, überzeugte. Vorneweg marschiert sind die Schwergewichte Alphabet, Amazon und Microsoft, die den Technologiewerteindex Nasdaq 100 mit ihren Ergebnissen im laufenden Jahr schon zum wiederholten Mal auf einen Rekord katapultierten. Insgesamt hat die Branche seit Jahresbeginn mehr als 1 Bill. Dollar Börsenwert zugelegt.Wenn am Mittwoch das soziale Netzwerk Facebook die Quartalszahlen der von Investoren viel beachteten FANG-Gruppe bestehend aus Facebook, Amazon, Netflix und der ehemaligen Google – heute Alphabet – komplettiert, dürfte es für viele Branchentitel in die gleiche Richtung weitergehen, obwohl sich zuletzt Sorgen über die Bewertung des Sektors eingeschlichen haben. Für die künftige Entwicklung der Branche und vor allem der dominanten Konzerne an der Spitze der sogenannten Aufmerksamkeitsökonomie des Internets ist ein anderer Termin am Mittwoch aber von größerer Bedeutung. Denn während sich Facebook-Chef und Gründer Mark Zuckerberg noch auf die Präsentation der Quartalszahlen nach Börsenschluss in den USA vorbereitet, wird am Mittwoch in Washington der Chefjustiziar des Konzerns bereits vor dem Geheimdienstausschuss des US-Senats Fragen zu versuchten Einflussnahmen auf die US-Präsidentschaftswahl 2016 aus Russland zu beantworten haben.Erst vor wenigen Wochen hat Facebook eingeräumt, während des Wahlkampfs für mehr als 100 000 Dollar Online-Werbung an russische Kunden verkauft zu haben. Bereits am Dienstag ist Facebook deshalb zu einer Anhörung vor dem Rechtsausschuss des Senats geladen. Die Chefjuristen von Alphabet und Twitter sind an beiden Tagen ebenfalls vor den Senat bestellt. Während bei der Alphabet-Tochter Google die gezielte Desinformation über die Videoplattform Youtube durch ausländische Akteure untersucht wird, hat der Kurznachrichtendienst eingeräumt, dass er von Anzeigenkunden aus Russland bezahlt wurde. Sowohl Facebook als auch Twitter haben in den vergangenen Tagen bereits angekündigt, künftig für mehr Transparenz im Umgang mit politischen Anzeigen sorgen zu wollen, wie das etwa in Fernsehen und anderen Medien schon heute Standard ist. Im US-Senat liegt allerdings ein Gesetzesvorschlag, der über die von den Konzernen versprochene Selbstregulierung hinausgeht.Dass die Internetfirmen bereits vor der Anhörung einlenken, ist nicht nur der Tatsache geschuldet, dass sie sich für die Demokratie starkmachen wollen, wie Zuckerberg zuletzt öffentlichkeitswirksam versicherte. Denn ihnen ist nicht entgangen, dass mit der Diskussion über den Einfluss sozialer Medien auf den Wahlausgang die Aufmerksamkeit des Gesetzgebers in Washington für die Macht der Internetkonzerne auch insgesamt gestiegen ist. Wo es bislang nur hieß, dass Daten das neue Öl sind, dämmert es mittlerweile einigen, dass auch der Einfluss der neuen Datenkönige mit dem der Ölbarone von einst vergleichbar ist.Die Zeiten, in denen scheinbar nur in Brüssel diskutiert wurde, wie man die dominanten US-Internetkonzerne einhegen kann, während ihr Erfolg in der Heimat als Nachweis für die Innovationskraft des Silicon Valley gefeiert wurde, sind vorbei. Marktbeobachter ziehen in ihren Beschreibungen der Zukunftsaussichten von Facebook und Co. zwar immer noch in erster Linie regulatorische Risiken in Europa mit ins Kalkül, die sich vor allem für Alphabet bereits manifestiert haben. In Papieren, die in Washington die Runde machen, wird der Einfluss von Mark Zuckerberg, Alphabet-Gründer Larry Page und Amazon-Chef Jeff Bezos aber bereits mit den Dynastien von Andrew Carnegie, John D. Rockefeller und Cornelius Vanderbilt verglichen. Beim Umgang mit der Internetbranche könnte Standard Oil da rasch zum Vorbild werden. Eine Zerschlagung der Internetgiganten ist auf absehbare Zeit zwar kein realistisches Szenario. Die politischen Risiken sind dennoch gestiegen. Wenn es der Branche bei den Anhörungen vor dem Senat in dieser Woche gelingt, ihr politisches Kapital nicht weiter zu schmälern, wäre das vielleicht die größte Überraschung in der laufenden Berichtssaison.——–Von Stefan ParaviciniDaten sind das neue Öl, heißt es in jeder Sonntagsrede. Der wachsende Einfluss der Datenkönige birgt zunehmende politische Risiken für den Technologiesektor.——-