Notiert in Moskau

Die Notehe und der chinesische Cadillac

Russen und Chinesen müssen sich erst mühsam an ein gemeinsames Leben gewöhnen. Schließlich kennt man einander so gut wie nicht. Die nächsten Jahre werden daher voll von kuriosen Anekdoten sein.

Die Notehe und der chinesische Cadillac

Notiert in Moskau

Die Notehe mit China

Von Eduard Steiner

Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Es ist eher eine Vernunftehe. Aber auch das bringt nicht auf den Punkt, was sich in den vergangenen 20 Monaten seit dem russischen Überfall auf die Ukraine zwischen Russland und China herausgebildet hat. Vielleicht am treffendsten muss man es als Notehe bezeichnen.

Ja, ein wenig Annäherung gab es schon mehrere Jahre zuvor. Bereits vor der russischen Annexion der ukrainischen Halbinsel Krim im Jahr 2014 hatte Russland eine strategische Intensivierung der wirtschaftlichen Beziehungen mit asiatischen Staaten, insbesondere mit China, beschlossen. Denn es war zu einseitig vom Westen abhängig und ganz generell spielt ja viel wirtschaftliche Zukunftsmusik in Asien. So weit, so vernünftig. Und China seinerseits hatte sich schon in den Nullerjahren Verträge zum langfristigen Bezug russischen Öls gesichert.

2014 dann wurde aus der Freiwilligkeit und Vernunft eine Notwendigkeit. China nützte den Moment für sich und stimmte plötzlich dem Vertrag zum Bezug russischen Gases zu, was sich die Russen schon zehn Jahre vorher gewünscht hatten. Nun konnten die Chinesen die Bedingungen diktieren und gleichzeitig doch wirksam signalisieren, dass sie ihrem nördlichen Nachbarn in seiner Krise mit dem Westen nur helfen wollen.

Der Lauf der Dinge brachte einen Schwenk Russlands gen Osten. Anfangs sukzessive, seit dem Beginn des Ukraine-Krieges am 24. Februar infolge der westlichen Sanktionen im Blitztempo. Das bilaterale Handelsvolumen ist im ersten Halbjahr 2023 um 30% weiter nach oben geschnellt und wird laut Wirtschaftsminister Maxim Reschetnikow bis Jahresende die Marke von 200 Mrd. Dollar überschreiten. Natürlich spielt hier das erhöhte Exportvolumen bei russischem Öl eine wichtige Rolle. Aber den Daten des chinesischen Zollamtes zufolge exportierte China im ersten Halbjahr 2023 bereits so viel nach Russland wie die EU – die vor dem Krieg Russlands größter Warenlieferant war – im Gesamtjahr 2022. Als Beispiel kann der russische Automarkt gelten, auf dem der Anteil der Chinesen von weniger als 10% zu Kriegsbeginn bis zum Ende des zweiten Halbjahres 2023 auf 45% gestiegen ist.

Wie eng die Freundschaft, die bei Wladimir Putins jüngstem Besuch in Peking wieder bekundet wurde, tatsächlich ist und ob die staatliche Ehe irgendwann auch zur Liebe wird, lässt sich heute nicht sagen. Sagen lässt sich, dass die Abkehr vom Langzeitpartner Europa und die Hinwendung zum neuen Partner Asien schon vom Standpunkt der reinen Vernunft her sehr fragwürdig erscheint. Der sanktionsbedingt eingeschränkte Zugang zu westlichen Hightech-Produkten wird Experten zufolge zu einer schleichenden Primitivisierung der russischen Wirtschaft führen, die auch von den Asiaten nicht verhindert werden wird. Das gab der Moskauer Bürgermeister, Sergei Sobjanin, kürzlich zu, als er sagte, dass die östlichen Länder im Vergleich zu den westlichen „noch härter sind“. Man habe dort bereits „einen Wirtschaftskrieg“, sagte er. Die östlichen Länder würden ihre eigenen Produzenten mit Dumping präferieren. Und überhaupt wolle niemand von ihnen Russland moderne Technologien schenken, die es im Westen nicht mehr bekomme. Im besten Fall würden sie sie zum doppelten Preis verkaufen.

Die Ehe mit China ist also eine aus Not. Und in einer solchen muss man sich noch mehr als bei der Vernunftehe mühsam aneinander gewöhnen, zumal die Russen immer skeptisch bis ängstlich nach China geblickt haben, weil sie etwa eine Landnahme durch das große Volk im Osten Russlands befürchten. Die Gewöhnung aneinander bringt kuriose Situationen mit sich. Ihr Nachbar sei kürzlich mit einem neuen großen Auto nach Hause gekommen, das wie ein Cadillac ausgesehen habe, erzählte neulich eine Russin im Gespräch mit der Börsen-Zeitung. Ihr Mann habe den Nachbarn gefragt, wo er das US-Auto denn gekauft habe. „Ist nur ein chinesischer Wagen“, winkte dieser lachend ab. „Ein Pseudo-Cadillac?“. „Nein, nicht einmal das.“

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