LeitartikelErbschaftssteuer

Die Schweizer Wirtschaft auf der Couch

Dem Wirtschaftsestablishment fehlt das Gefühl für die politische Stimmung im Land. Die Jungsozialisten nutzen das aus.

Die Schweizer Wirtschaft auf der Couch

Erbschaftssteuer

Die Schweizer Wirtschaft auf der Couch

Von Dani Zulauf

Dem Wirtschaftsestablishment fehlt das Gefühl für die politische Stimmung im Land. Die Jungsozialisten nutzen das aus.

Das Schweizer Wirtschaftsestablishment und die bürgerlich-wirtschaftsnahen Kreise in der helvetischen Politik können sich darauf verlassen, dass ihre Anliegen im Gesetzgebungsprozess gebührend berücksichtigt werden. Ihre Mehrheit im Parlament ist seit Jahrzehnten robust und ungefährdet. Wenn es in der Schweizer Politik einmal hektisch oder sogar spannend wird, ist fast immer eine Volksinitiative im Spiel.

Eine solche war 2013 die – wohlgemerkt von einem bürgerlichen Politiker lancierte – sogenannte „Abzocker-Initiative“, die den Aktionären von Publikumsgesellschaften vor dem Hintergrund der Swissair-Pleite im Jahr 2001 mehr Rechte im Kampf gegen überrissene Saläre einräumen wollte. Hohe Löhne und schwache Leistungen vor allem in der Bankenwelt machten die Initiative so beliebt im Volk, dass sie trotzt heftigem Lobbying aus Wirtschaftskreisen und jahrelanger Verschleppung des Abstimmungstermins mit zwei Dritteln der Stimmen angenommen wurde.

Magere Bilanz

Nüchtern betrachtet muss man sagen: Die Initiative hat faktisch nichts verändert. Die Managerlöhne sind so hoch wie nie, sie steigen weiter und sie sind nicht besser durch Leistungen begründet als damals. Trotzdem hat die Initiative das Selbstverständnis der Wirtschaftselite als staatstragende Kraft in der Schweiz erschüttert. Die uneingeschränkte Gewissheit, wirtschaftspolitisch wichtige Abstimmungen zu gewinnen, ist weg, und die Unsicherheit hat durch weitere erfolgreiche Volksinitiativen mit einem linken Drall zugenommen.  

Gerade herrscht mal wieder der Ausnahmezustand. Eine im Februar eingereichte Volksinitiative der Jungsozialisten (Juso) zur Einführung einer scharfen Erbschaftssteuer hat in den Sommermonaten einen Riesenwirbel verursacht. Gewiss, die Initiative ist steil. Sie will, dass Erbschaften von mehr als 50 Mill. sfr mit 50% besteuert werden. Die Steuer soll gelten, sobald sie an der Wahlurne angenommen ist – also noch bevor das Parlament ein Gesetz daraus machen konnte.

Reelle Chancen an der Urne hat die Initiative aber nicht. Dennoch ließen sich mehrere prominente Vertreter der Schweizer Wirtschaftselite durch ein paar Provokationen der Initiatoren zu ungewöhnlich harschen Reaktionen verleiten. Umgehend drohte der frühere Parlamentsabgeordnete und erfolgreiche Eisenbahnunternehmer Peter Spuhler (Stadler Rail) in einem Zeitungsinterview, das Land zu verlassen, sollte die Initiative umgesetzt werden. Andere bekannte Industrielle folgten ihm mit ähnlichen Aussagen. So aufgeregt sieht man die Schweizer Wirtschaftsakteure sonst nie, schon gar nicht, wenn das Anliegen einer kleinen sozialistischen Partei der Anlass ist. Warum ist jetzt alles anders?

Gewiss, die Rückwirkungsklausel im Initiativtext ist unangenehm für die Betroffenen. Sie können nur zu früh oder zu spät auf die drohende Steuer reagieren. Diese Vorwirkung mag den Initiatoren helfen, aber die Juso ist eine Mini-Partei, die mit einem Anliegen an die Urne will, das die Schweizer Bevölkerung schon 2015 in hohem Bogen abgelehnt hatte. Außerdem sind Erbschaftssteuern generell unbeliebt und ganz besonders in der Schweiz. Die Bevölkerung ist stolz auf die große Wirtschaftskraft des Landes und es gibt keine Mehrheit, die diese mit einer solchen Steuer gefährden würde.

Aber viele Wirtschaftsexponenten und wirtschaftsfreundliche Politikakteure scheinen inzwischen das Gespür für die Stimmung in der Bevölkerung verloren zu haben. Man weiß es: Der Ruf der ohnehin nicht sonderlich beliebten Multis hat gelitten. Die Superlöhne der Manager stehen im eklatanten Kontrast zu Fehlentwicklungen, wie der Untergang der Schweizer Großbank Credit Suisse eine war. Noch ist die Kluft zwischen den sozialen Schichten und den Regionen vergleichsweise klein. Aber die gesellschaftlichen Fliehkräfte sind am Werk und verunsichern die Verfechter des liberalen Wirtschaftssystems, in dem es keinen Platz für radikale politische Umverteilungsideen geben sollte. Die Vorgänge in der Schweiz zeigen deutlich: Die alten Industrieländer stecken in einer Lebenskrise. Eine Psychoanalyse tut not.

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