Brüssel

Die schwierige Rückkehr zur Normalität

Belgien kann auf hohe Impfquoten verweisen. Die Regierung lockert daher die Corona-Einschränkungen immer mehr – dabei liegen auch die Neuinfektionsraten deutlich höher als etwa in Deutschland.

Die schwierige Rückkehr zur Normalität

Die Sommerpause hat das Brüsseler Europaviertel aktuell fest im Griff. Wie eigentlich immer im August sind die Bürgersteige hochgeklappt. Rund um das Berlaymont, in der Rue de la Loi, am Schuman-Kreisel oder am Place Lux vor dem Europaparlament sind in diesen Tagen kaum Menschen auf den Straßen. Die Abgeordneten sind noch im Urlaub. Die Kommission läuft allenfalls mit Notbesetzung. Und die regulären Ministerräte starten erst wieder im September. Dann aber, so hoffen viele Optimisten, die hier in den oder mit den EU-Institutionen arbeiten, wird endlich wieder ein Stück weit Normalität in die Brüsseler Bubble einziehen: Nach eineinhalb Jahren Pandemie endlich wieder die persönlichen Begegnungen hochfahren, endlich wieder netzwerken, endlich wieder Zoom, Webex und die ganzen anderen Videokonferenzprogramme abschalten.

*

Die äußeren Voraussetzungen hierfür sind auf den ersten Blick ganz gut – sowohl was das Impfumfeld betrifft als auch in Bezug auf die rechtlichen Rahmenbedingungen. Die Impfquoten in Belgien sind zum einen nämlich höher als etwa in Deutschland: 65% der Gesamtbevölkerung sind bereits vollständig geimpft; 72% haben zumindest schon die Erstimpfung erhalten. Bei den Erwachsenen (ab 18 Jahren) haben bereits 80% den vollständigen Schutz. In Flandern, wo die Impfbereitschaft besonders hoch ist, sind es sogar schon 85%. Zum anderen hat Belgien die Corona-Maßnahmen zuletzt deutlich gelockert. Das heißt, dass Innenveranstaltungen mit bis zu 3000 Besuchern wieder stattfinden dürfen. Feste, Empfänge oder auch Diskussionsveranstaltungen beispielsweise im Europaviertel wären innen aktuell wieder mit immerhin bis zu 250 Menschen möglich – wenn auch weiterhin Maskenpflicht und Abstandsregeln beachtet werden. Seit diesem Wochenende sind sogar Großveranstaltungen draußen – wie etwa Musikfestivals oder Sportveranstaltungen – mit Tausenden Besuchern wieder möglich. Die Bedingungen für diese Lockerungen, die zuvor von der belgischen Regierung festgelegt worden waren: 70% der Erwachsenen mussten mindestens einmal ge­impft sein, und die Zahl der Covid-Patienten auf den Intensivstationen musste unter 500 liegen. Aktuell liegt die Zahl bei rund 120.

*

An diesem Wochenende wird in Belgien zudem das sogenannte Covid-Safe-Ticket eingeführt, das den digitalen europäischen Impfpass ergänzen soll und für das auch ein Negativtest ausreicht. Gedacht ist dieses Covid-Safe-Ticket vor allem für Großveranstaltungen. Fußballclubs können ihre Stadien wieder komplett mit Fans füllen, die ein solches Ticket vorlegen. Abstandsregeln und Maskenpflicht gibt es dann auch nicht mehr. Allerdings ist in Belgien ebenso wie vor dem anstehenden Start der Bundesliga in Deutschland eine Debatte ausgebrochen, wie mit Fans umzugehen ist, die nicht vollständig geimpft sind. Mehrere belgische Vereine haben angekündigt, diesen Zuschauern separate, abgetrennte Bereiche in den Stadien anzubieten. Dort würden dann auch weiterhin Maskenpflicht und Abstandsregeln gelten. Eine begrüßenswerte Flexibilität oder „eine neue Form der Apartheid“, wie Kritiker meinen? Die Ansichten sind gespalten.

*

Ob der Lockerungskurs gut geht, wird man sehen. Denn zur Wahrheit gehört auch: Auch in Belgien steigen die Zahlen der Neuinfektionen mittlerweile wieder deutlich. Laut europäischer Infektionsschutzbehörde ECDC kommt Belgien aktuell auf eine 14-Tage-Inzidenz je 100000 Einwohnern von 187. Das ist sechsmal so hoch wie in Deutschland. Auch deshalb ist die von vielen erhoffte Rückkehr zur Normalität im Brüsseler Europaviertel vielleicht eher eine Wunschvorstellung. Größere Veranstaltungsanbieter wie etwa die hessische Landesvertretung winken auch schon ab und setzen zumindest bis Jahresende erst einmal weiter auf Online-Konferenzen und nur in Ausnahmefällen und in kleinerem Rahmen auf Präsenzveranstaltungen. Die Situation sei einfach noch zu unsicher, heißt es.

              (Börsen-Zeitung,