Frankfurt

Die Stunde der zweiten Reihe

Die Pandemie wirbelt die Aufstellungen mächtig durcheinander – in Fußballvereinen ebenso wie in Opernensembles, in Bankhochhäusern genauso wie in Zeitungsredaktionen.

Die Stunde der zweiten Reihe

Bevor die erste Note gespielt und die erste Zeile des Librettos gesungen war, kam der Dramaturg auf die Bühne, um die eigentliche Nachricht des Abends zu verkünden: „Der Rigoletto kann aufgeführt werden.“ In diesen Tagen keine Selbstverständlichkeit, angesichts gleich mehrerer Corona-Ausfälle im Ensemble.

Na gut, einige Rollen konnten nur von der Seite eingesungen werden, während die Regieassistentin – je nach Rolle mal mit heller, mal mit roter Perücke – die szenische Darstellung übernahm. Auch sonst waren einige personelle Rochaden nötig, um Verdis Stück an diesem Abend auf die Frankfurter Opernbühne zu bringen. Allein: Am Ende gab es aus dem Zuschauerraum viele „Bravi“, selbst wenn die Rufe wegen der Maskenpflicht im Publikum akustisch etwas gedämpfter ausfielen als sonst. Besonders lauten Beifall erhielten die Einwechselspieler, die durch ihr kurzfristiges Einspringen den Opernabend erst möglich gemacht haben.

In Zeiten von Corona schlägt die Stunde der zweiten Reihe. Überall dort, wo die Pandemie grassiert, müssen die Ersatzleute ran. In der Oper ebenso wie im Fußballstadion. Tom Bischof, Justin Che, Jordan Beyer, Luca Netz – die Spielbögen der Bundesligisten am Wochenende haben Namen vieler Newcomer enthalten. Selbst an der Seitenlinie wird das Stammpersonal vertreten: Christian Peitinger statt Adi Hütter, Markus Gellhaus statt Thomas Reis. Und dass der Co-Trainer von Felix Magath in Berlin Mark Fotheringham heißt, das weiß seit diesem Spieltag halb Deutschland – so intensiv, wie die Sportschau-Kamera auf ihn gehalten hat.

Die Pandemie wirbelt die Aufstellungen auch in Bankhochhäusern und Zeitungsredaktionen durcheinander. Corona provoziert nicht nur einen Digitalisierungsschub, sondern sorgt dafür, dass Teams in anderen Konstellationen zusammenarbeiten. Manche, die bislang assistierten, können sich plötzlich beweisen. Und schon zeichnet sich ab: Einige der neuen Gesichter sind gekommen, um zu bleiben.

Unterdessen steigt der Anteil der Einladungen rasant, die wieder Zusammenkünfte in Präsenz ankündigen. Für Juni und für September füllen sich die geschäftlichen Terminkalender rasant. Firmen, Kreditinstitute und Verbände, die viele Monate lang auf Treffen „in real life“ verzichtet haben, laden wieder zu Gespräch und Debatte. Vorausgesetzt, es ist ihnen gelungen, in den Sommermonaten noch eine der heiß begehrten Veranstaltungsräumlichkeiten zu ergattern. Einige Hotels, so erzählte kürzlich ein Eventmanager, lachten ihn mittlerweile aus, wenn er Konferenzsäle kurz vor oder nach den Sommerferien anfrage.

Selbst im April trauen sich zunehmend Banken und Verbünde, zum persönlichen Austausch einzuladen, verbunden mit der Hoffnung, dass man dann schon die Terrasse mit benutzen kann, was das Corona-Reglement ungemein vereinfachen würde. Doch Obacht! Niemand sollte sich von den aktuellen Sonnentagen verleiten lassen. Auch in diesem Jahr wird das Warten auf den Mai eine harte Geduldsprobe werden. Mitte April wird es ziemlich frostig.

Natürlich gibt es auch jetzt im März schon die eine oder andere Präsenzveranstaltung unter Bankern. Dabei ist freilich noch manche Unsicherheit spürbar, etwa beim Händeschütteln. Wer sich nicht sicher ist, ob ausgestreckte Hand oder Ghettofaust, ist gut beraten, auf kontaktlose Varianten wie die flache erhobene Hand auszuweichen – wie in alten Cowboy- und Indianerfilmen. Oder die Hände vor der Brust zu falten – wie in der Yoga-Stunde.

Nach vielen Monaten gesellschaftlicher Abstinenz fällt es vielen schwerer als früher, das Gegenüber zu erkennen und sich noch dazu des jeweiligen Namens zu erinnern. In Zeiten der Pandemie gibt es dafür freilich eine prima Entschuldigung: Tut mir leid, aber mit der Maske habe ich Sie erst gar nicht erkannt. Oder noch filigraner: Tschuldigung, aber wenn ich eine Maske trage, kann ich kaum jemanden erkennen, weil meine Brille ständig beschlägt.

Apropos Maske: Veranstaltungen, die derzeit stattfinden, haben oft die Vorgabe: Maske nur ab, um zu trinken. In anderen Worten: Die Pandemie zwingt quasi dazu, sich in Lounges und Foyers zügig und ohne Pause mit Bier und Wein zu betanken.