Die umkämpfte Einheit
Wer das Bundesfinanzministerium in Berlin betritt, betritt einen geschichtsträchtigen Ort. Als Reichsluftfahrtministerium von den Nationalsozialisten erbaut war es eine der zentralen Schaltstellen des Regimes – gefasst in die monumentale Architektur der Zeit. Hermann Göring führte von dort seine Geschäfte. Das militärisch gut gesicherte Gebäude überstand fast unbeschädigt den Krieg. Die sowjetische Militäradministration nutzte es nach 1945. Die „Deutsche Wirtschaftskommission“ wurde dort 1947 als zentrale Verwaltungsorganisation für die sowjetische Besatzungszone gegründet, nur zwei Jahre später am 7. Oktober die DDR durch Proklamation der provisorischen Volkskammer. Danach fanden in dem riesigen Gebäudekomplex gleich mehrere Ministerien der DDR eine Heimat. Als „Haus der Ministerien“ und Symbol des Staates war es 1953 am 16. Juni das Ziel der demonstrierenden Bauarbeiter und stand im Mittelpunkt des Volksaufstands vom 17. Juni.
Mit einer Gedenkveranstaltung erinnert Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) an diesem Montag an noch eine weitere Rolle des Hauses und einen seiner wichtigen Protagonisten, bevor nach dem Regierungsumzug von Bonn nach Berlin sein Ressort dort Platz fand. Nach dem Fall der Mauer zog 1991 die Treuhandanstalt in die heutige Wilhelmstraße 97 ein. Sie blieb dort bis zu ihrer formellen Auflösung 1995 und Umbenennung in Bundesanstalt für vereinigungsbedingte Sonderaufgaben. Aus dem Haus wurde die DDR-Wirtschaft transformiert – volkseigene Betriebe wurden verkauft, mit Investitionsauflagen verschenkt, um zumindest wenige Arbeitsplätze zu retten, oder auch abgewickelt. Seit 1. April 1992 trägt das Gebäude den Namen Detlev-Rohwedder-Haus. Benannt ist es nach seinem ersten Präsidenten, einem westdeutschen Manager, der von Unbekannten ein Jahr zuvor erschossen wurde. Die Terrorvereinigung RAF bekannte sich zu dem Mord. Aufgeklärt ist das Verbrechen bis heute nicht. Vermutet wird, dass die Stasi den professionell ausgeübten Mord begangen haben könnte. Rohwedder war auf der Spur des versteckten Vermögens der SED-Partei.
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Rohwedder wäre am 14. November 90 Jahr alt geworden. Gewürdigt wird sein Schaffen in der Veranstaltung im Rohwedder-Haus und Ministerium unter dem Titel: „Die Treuhandanstalt: versachlichen, verantworten, versöhnen?“ Das Ministerium unterstützt finanziell ein Forschungsprojekt des Instituts für Zeitgeschichte (IfZ) München. Seit 2017 arbeiten neun Experten am Standort Berlin des IfZ die Geschichte der Treuhandanstalt auf – mit dem Ziel einer historisch differenzierenden Betrachtung. Mehr als 1880 Akten haben sie eingesehen und in 40 staatlichen und privaten Archiven in fünf Ländern gearbeitet und recherchiert. Vor Kurzem ist das Buch „Die umkämpfte Einheit“ zur Treuhandanstalt zum Forschungsprojekt erschienen. Herausgeber ist der Historiker Dierk Hoffmann. Beleuchtet wir das Innere der Treuhandanstalt als überforderte Behörde, der die Politik im fernen Bonn eine Vielzahl von Aufgaben zugewiesen hatte. Die Erwartungen in die Treuhandanstalt waren hoch, ihre Arbeit stark umstritten. Ihre Aufgabe hatte es zuvor nie gegeben – der Wandel einer Zentralverwaltungswirtschaft in eine Marktwirtschaft. Privatisierungen, Belegschaftsproteste, Deindustrialisierung, europäische Beihilfen, Alternativen zur Privatisierung macht das Buch ebenso zum Thema wie „Seilschaften“ und Wirtschaftskriminalität.
Rohwedder hatte sich dem Projekt Treuhand mit Herzblut genähert. „Erst kommen die Menschen, dann die Paragrafen“, wird er zitiert. Seine Ehefrau Hergard, die bei dem Anschlag verletzt wurde, bescheinigte ihm, stets Ruhe und Haltung gewahrt und Verständnis für die Motive seiner Kritiker gezeigt zu haben. Rohwedder hatte Wurzeln im Osten Deutschlands. Geboren in Thüringen wuchs er in Berlin und Schleswig-Holstein auf. Der Jurist kannte auch die Welt zwischen Politik und Wirtschaft. Zehn Jahre war er Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und eine gute Dekade Vorstandsvorsitzender des Dortmunder Stahlkonzerns Hoesch.